Abnormal-repetitive Verhaltensweisen (ARV) bei Hunden gehören zum großen Komplex der Verhaltensstörungen (siehe Abb. 2.6) und sind mit eines der auffälligsten Verhaltensprobleme in der Tierverhaltenstherapie (Overall, 1997; Lüscher, 2002). Bei der in der Humanmedizin verwendeten Terminologie der internationalen Klassifizierung psychischer Störungen (WHO ICD-10, 2000; APA DSM-IV -TR, 2003) wird bei ARV zwischen
Bewegungsstereotypien und Zwangsstörungen unterschieden (siehe Kapitel 2). Im Gegensatz dazu gibt es in der Veterinärmedizin keine klare Unterscheidung zwischen den einzelnen Störungsbildern und es findet nach wie vor noch keine klare Abgrenzung zwischen Stereotypien und Zwangsstörungen statt (z. B. Overall, 1997).
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Basierend auf unterschiedlichen neuropsychologischen und neurophysiologischen kausalen Prozessen von Zwangsstörungen und Stereotypien sollen in der vorliegenden Arbeit diese Unterschiede zur Klassierung von ARV bei Hunden genutzt werden. Durch die Klassierung der ARV könnten die Kausalitäten verständlicher gemacht und damit nicht zuletzt die Therapie für diese Art der Verhaltensstörungen verbessern werden. Eine klare Unterscheidung von ARV bei Hunden in Stereotypien und Zwangsstörungen verspräche eine gezieltere Anwendung möglicher Therapieansätze, sowie höhere Therapieerfolge bei geringeren unerwünschten Nebenwirkungen. Demzufolge sollten dadurch wichtige Aufschlüsse über ARV gegeben und tierärztlichen Verhaltenstherapeuten geholfen werden, ihre Therapieansätze auf einer wissenschaftlichen Basis zu optimieren.
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Neuroendokrinologisch wird davon ausgegangen, dass bei ARV eine Ursache in der Dysfunktion verschiedener Neurotransmittersysteme liegt (Cabib, 2006; Garner,2006; Lewis et al., 2006; Mills und Lüscher, 2006). Während bei Stereotypien neben weiteren Neurotransmittersystemen (z. B. Glutamat und GABA) vorzugsweise Dysfunktionen im Dopaminstoffwechsel vorliegen, spielt bei Zwangsstörungen vermutlich die Neurotransmission von Serotonin die Hauptrolle (Hohagen, 1999; Leplow, 2004; Garner, 2006). Die Vorstufe von Serotonin bildet Tryptophan, eine essentielle Aminosäure, welche über die Nahrung aufgenommen wird. Im Zusammenhang mit den Ergebnissen der zweiten Studie wurde angenommen, dass sich die Aufnahme von Tryptophan positiv auf Zwangsstörungen auswirken könnte, während bei Stereotypien keine Wirksamkeit von Tryptophan zu erwarten wäre. Daher war das Ziel der dritten Studie zu ermitteln, ob eine Erhöhung der oralen Tryptophanaufnahme zu einer Verbesserung von bestimmten Formen ARV bei Hunden führen kann.
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Abnormal-repetitive Verhalten (ARV) umfassen Verhaltensweisen, die unangemessen wiederholt auftreten und invariabel im Ablauf und/oder in ihrer Orientierung sind. ARV erscheinen funktionslos, können Automutilation beinhalten und sind oft sonderbar in ihrer Erscheinung (Turner, 1997; Garner, 2006).
ARV gehören zum großen Komplex der klinischen Verhaltensstörungen (siehe Abb. 2.6) und sind bei vielen Tierarten sowie bei Menschen zu finden. Die Ätiologien von ARV sind weder bei Menschen noch bei Tieren im Detail geklärt. Viele Fragen bezüglich Motivation, Entwicklung und neurophysiologischem Hintergrund sind noch offen.
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Auch Hunde können ARV entwickeln. Ungefähr 3-4% der Hunde, welche in der verhaltenstherapeutischen Praxis vorstellig werden, sind davon betroffen (Overall, 1997). Je nach Umfang des Krankheitsbildes können ARV viel Zeit in Anspruch nehmen und damit oftmals zu einer eingeschränkten Lebensqualität des Tieres und dessen Besitzer führen (Lüscher, 2002). Darüber hinaus kann diese Verhaltensstörung so schwerwiegend sein, dass dadurch auch gesundheitliche Probleme und eine Verminderung der Reproduktivität auftreten können (Lüscher, 2002). Die einzelnen Störungsbilder können dabei sehr unterschiedlich aussehen (siehe Tabelle 2.1) und reichen von lokomotorischen, oralen und halluzinatorischen bis hin zu aggressiven oder kommunikativen ARV (Lüscher, 2002). (...)
Untersuchungen zur Klassierung von abnormal-repetitiven Verhaltensweisen bei Hunden