Im Gottesstaat droht dem Rehpinscher der Tod
Nur nachts und im Morgengrauen kann der Pinscher Sami an die frische Luft, denn in Teheran machen Revolutionswächter kurzen Prozess mit jedem Hund. Ein Gespräch über ein iranisches Versteckspiel.
Das erste Mal sah sie ihn in einem großen, alten Garten im Iran, irgendwo weit draußen auf dem Land. Sami stand da neben dem Baum, an den man ihn angebunden hatte, und wedelte mit dem Schwanz. Sami war jung, süß, klug, ein Rassehund – mit den denkbar schlechtesten Aussichten auf ein langes Leben.
Denn drei Dinge gibt es im Iran, die die Mullahs mit aller Härte verfolgen, tilgen oder töten: Schweine, Alkohol und Hunde. Farah H. band Sami los, sie nahm ihn auf, sie hat ihn gerettet. Die Iranerin Farah H., die heute in Deutschland lebt, über das Versteckspiel auf Leben und Tod mit ihrem Hund Sami im Iran.
Welt am Sonntag: Wie geht es Sami? Lebt er noch?
Farah H.: Er ist im Iran, und es geht ihm gut. Sami wohnt jetzt seit zwei Jahren bei meinen Brüdern und meiner Schwägerin im Norden von Teheran. Er gehört dort zur Familie, er darf auf der Couch sitzen und Fernsehen gucken. Anfangs war meine Schwägerin gegen Sami. Er sollte im Garten bleiben, am besten aber gleich verschwinden. Ich sagte: Bitte, bitte, nur für eine Nacht. Die Nacht wird wieder sehr kalt, der kleine Hund ist frisch geschoren und ganz nackt. Sami schlief dann im Flur, die Nacht darauf in meinem Zimmer. Inzwischen schläft er überall im Haus, wo und wie es ihm passt.
Als wir Sami fanden, war er ein kleines, schmutziges Bündel, angeleint an einen Baum in Yacd, einer der ältesten Städte im Iran, am Rand der Wüste. Es war ein wunderschöner, alter Garten hinter einem Landhaus. Sami gehörte dem Sohn der Hausverwalterin, aber niemand kümmerte sich um ihn. Meine Freundin sagte: Das ist kein Straßenköter. Der hat Rasse, er ist klug. Wir haben ihn losgebunden und da rannte Sami los, rannte und rannte, zehn Minuten lang.
Danach kam er zu uns, setzte sich vor uns hin, sah uns an mit geneigtem Kopf. Er bedankte sich für die Befreiung. Da wussten wir: Wir nehmen ihn mit. Wohin auch immer. Beim Scheren kam, genau wie meine Freundin vorhergesagt hatte, unter der dreckigen Zwanzig-Zentimeter-Filzmatte ein kleiner, fröhlicher Hund zum Vorschein. Ein Rehpinscher, sehr lebendig und sehr bewegungsfreudig, leider. Sein Bewegungsdrang ist ein lebensgefährliches Problem.
Welt am Sonntag: Lebensgefährlich?
Farah H.: Der Iran ist ein Gottesstaat, und im Islam gelten Hunde als unrein, genau wie Schweine, Alkohol oder Fäkalien. Unter dem Regime des Schahs war das kein Problem. Als Kinder hatten wir immer einen Hund im Haus. Damals gab es auch Geschäfte, die Schinken verkauften. Schleier hat nur getragen, wer streng religiös leben wollte.
Seit der Revolution sind Hunde verboten, Revolutionswächter überwachen die Einhaltung der religiösen Gesetze. Sie verhaften Frauen, die geschminkt sind oder deren Kopftücher nicht richtig sitzen. Oder Paare, die Hand in Hand durch die Straßen laufen. Diese Wächter haben unbeschränkte Macht. Bei Geburtstagsfeiern sehen die Wächter ein paar Autos stehen, sie hören leise Musik und was machen sie? Sie treten näher, sie kommen einfach rein. Das ist legal, sie haben das Recht dazu. Meistens drückt man ihnen dann etwas Geld in die Hand, und dann gehen sie wieder. Für die meisten ist es nur ein Geschäft.
Aber bei Hunden haben die Wächter Schießbefehl. Einige, aber eben nicht alle, sehen auch das als Geschäft: Für 200 bis 300 Euro Schmiergeld bleibt die Waffe stecken, Herr und Hund lassen sie laufen. Manche nehmen aber das Geld und erschießen den Hund trotzdem. Man weiß nie, an wen man gerät.
Leider ist Sami verrückt nach Gassigehen, er will immer raus. Zum Spaziergang geht's nie ohne Kopftuch, das hat er verstanden. Drei, vier Mal am Tag kommt er damit an und winselt. Aber erst im Morgengrauen ist es dann so weit oder nachts, wenn ganz sicher niemand mehr auf den Straßen ist.
Welt am Sonntag: Das nehmen Sie auf sich, Morgengrauen und Nachtstreife mit Sami?
Farah H.: Morgens früh zwischen sechs und sieben gibt es eine Runde, eine zweite abends um elf. Die Autos der Wächter erkennt man meist von Weitem an der Farbe, Weiß und Blau. Das Tolle ist: Alle helfen uns. Die Leute warnen: Da kommen wieder welche, schnell, schnell, hier könnt ihr euch verstecken. Nachts ist auch die Stunde der anderen Hundebesitzer. Da kennt man sich inzwischen und tauscht sich aus: Achtung, da und da lauern wieder welche.
Welt am Sonntag: Sind Hunde beliebt im Iran, obwohl sie verboten und geächtet sind?
Farah H.: Aber klar! Unterwegs mit Sami im Park oder auf der Straße – da freuen sich doch alle: Ach, wie süß ist denn der, darf ich ihn mal streicheln? Meine Familie wohnt im Norden Teherans, im Viertel gibt es viele Botschaften. Vor jeder Botschaft stehen Wachen, junge Männer meistens, die noch in der Ausbildung sind, und was machen die da? Die langweilen sich, und sie lieben Sami für die Abwechslung. Lassen wir bei unserer Runde eine der Botschaften aus, sind die beleidigt. Sie spielen so gern mit ihm. Mit den meisten haben wir einen Plan für den Notfall ausgemacht: Tauchen Revolutionswächter auf, ziehen sie ihre Trillerpfeifen. Sollten uns trotzdem mal die Wächter schnappen, gilt Plan B: Dann schubsen wir Sami aufs Botschaftsgelände. Den Zettel mit "Bitte um Asyl" halten wir immer in der Tasche bereit.
Welt am Sonntag: Was machen Sie, wenn Sami anfängt zu bellen?
Farah H.: Das macht er sehr selten, glücklicherweise. Eigentlich nur, wenn er Katzen sieht. Die gibt es leider häufig. Aber unsere Nachbarn sind eingeweiht, sie lieben Sami. Genauso die Kinder von der Schule nebenan. Die haben schnell mitgekriegt, dass es bei uns einen kleinen Hund zum Spielen gibt.
Welt am Sonntag: Was sagen die Eltern dazu?
Farah H.: Im Iran gibt es so viele Dinge, die verboten sind. Viel zu viele, um sich daran zu halten. Alkohol ist streng verboten, wer sich erwischen lässt, kriegt die Peitsche, aber kaum jemand möchte darauf verzichten. Hunde sind ja auch verboten, aber ich schätze, es gibt Hunderte allein in Teheran. Manche züchten heimlich Rassehunde, angeblich gibt es sogar ein Hundekino.
Kurz nachdem wir Sami gefunden hatten, wollten wir ihn impfen lassen. Im Wartezimmer der Tierklinik waren Hähne, Ziegen, Katzen, die ganze Tierwelt versammelt, bloß kein Hund. Sami ist vermutlich der erste Hund in der Klinik gewesen. Aber die Ärzte haben ihn ohne mit der Wimper zu zucken geschoren und geimpft. Danach standen wir draußen vor der Klinik und wollten ein Taxi. Sami war nicht zu sehen, wir hatten ihn in eine Reisetasche gesteckt. Das erste Taxi kam, Sami streckte die Nase aus der Tasche. 'Waaaaas? Ein Hund?' Der Fahrer zog die Tür wieder zu und machte sich davon. Natürlich hätte ich Sami auch verstecken können. Aber ich wollte, dass er ihn sieht.
Was wäre passiert, wenn der Mann den Hund im Sack auf halber Strecke spitzgekriegt hätte? Das Beste wäre gewesen, er hätte uns an die frische Luft gesetzt. Aber er hätte uns auch bei den Wächtern abliefern können. Wir standen und standen, irgendwann kam ein Mann vorbei, der sehr islamisch aussah. Ein grüner Schal um den Hals, das Zeichen des Islam. Er sah, was los war, sagte aber nichts. Nach einer Stunde war er zurück: 'Was? Ihr steht immer noch da?' Er hat dann sein Auto geholt und uns nach Hause gefahren.
Richtig gefährlich ist Zugfahren mit Sami. Auf der unvermeidlichen Bahnfahrt von Yacd nach Teheran hatten wir Sami in einer Reisetasche versteckt. Unterwegs hält der Zug auch in der heiligen Stadt Ghom – die Abteile waren voll von strenggläubigen Iranern. Der erste Passagier, der sich zu uns setzte, war ein Mullah. Es folgte eine komplett verschleierte Frau. Dann kam ein junger Mann mit iPhone.
Na wunderbar, dachte ich, wenn's knapp wird, springt der uns bei. Da ging sein Telefon, und der Klingelton war ein Adhan, ein religiöser Gesang, ein Gebetsruf. Wir saßen komplett eingekeilt zwischen tiefreligiösen Iranern, fünfeinhalb Stunden lang. Ich weiß nicht, ob Sami unsere Anspannung mitbekommen hat, aber er hat nicht einmal gezuckt. In Teheran am Bahnhof habe ich ihn erlöst. Ich nahm Sami kurz auf den Arm, damit er Luft schnappen konnte – und jeder, der vorbeikam, blieb stehen und wollte ihn streicheln.
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