Einschläfern oder nicht? Ein Hund fürs Leben
Das Tier leidet, es ist sofort einzuschläfern, sagt das Bezirksamt in Berlin-Pankow. Nein, sagt seine Besitzerin, es ist einfach nur alt. Schenkt ihm doch noch die paar letzten Wochen!
"Im Zweifel entscheidet der Amtsarzt"
Lutz Zengerling, Abteilungsleiter bei der Veterinäraufsicht Pankow und der direkte Vorgesetzte der beiden mit dem Fall betrauten Amtsärzte, verweist auf das Tierschutzgesetz, um das Vorgehen seiner Behörde zu begründen. „Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Leiden zufügen“, sagt er, „und der Sterbeprozess ist nun mal mit Leiden verbunden.“ Verständigt worden sei das Amt aufgrund einer polizeilichen Anzeige, sagt Zengerling, der sich nicht daran erinnern kann, schon einmal mit einem ähnlichen Fall zu tun gehabt zu haben. Das Gegengutachten der Tierärztin tut er als „Einzelmeinung“ ab. Er räumt zwar ein, dass Veterinärmediziner mangels festgelegter Kriterien zur Einschläferung durchaus zu unterschiedlichen Einschätzungen kommen können. „Aber die Rechtsprechung sagt nun mal, dass im Zweifel der Amtsarzt entscheidet.“
Borges, der Hund, wird bald sterben. Man könnte den Weg abkürzen. Viele würden es tun, auch Frau Kasiyanova hat oft darüber nachgedacht. Aber ist es angebracht, ist es notwendig?
Borges ist gebrechlich, gewiss, aber ist sein Leiden so groß, dass man ihn erlösen müsste? Akute Schmerzen sind ihm nicht anzumerken. Wenn vertraute Stimmen mit ihm sprechen, hebt er den Kopf, in seinen Augen ist Freude, wenn auch matte. Bei seinen Runden im Hof stöbert er nach Duftmarken anderer Hunde, um seine eigenen danebenzusetzen. Wenn er schläft, scheint er von besseren Tagen zu träumen, er verfällt dann, auf der Seite liegend, in lustvolles Beingestrampel, als renne er aus voller Kraft, was ihm im echten Leben nicht mehr möglich ist.
Borges ist, das macht die Sache noch schwerer, nicht plötzlich alt geworden, sondern sehr allmählich. Seit gut zwei Jahren baut er körperlich ab, langsam, Schritt für Schritt. Soll man, muss man diesem Altern ein Ende setzen, bevor es an sein natürliches Ende kommt? Und soll den Zeitpunkt dafür ein fremder Nachbar bestimmen, ein verständigter Polizeibeamter, eine Behörde?
Elena Kasiyanova will sich lieber an die Kriterien halten, die ihr die Tierärztin mit auf den Weg gegeben hat: Wenn Borges erkennbar Todesschmerzen erleide, geäußert durch Muskelkrämpfe oder Atemnot, wenn er nicht mehr selbstständig fresse, wenn er zur Begrüßung den Kopf nicht mehr hebe, nicht mehr am Familienleben teilnehme, das Interesse an seiner Umgebung verliere – dann sei es Zeit.
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