Hallo,
nachdem in letzter Zeit wiederholt die Fragen nach "Aktivkohle: Wann ja und wann absolut nicht?" aufgetaucht sind und in diesem Zusammenhang eine Menge Unsinn verbreitet wird, sollte man da ein wenig Licht ins Dunkel bringen. Ich fände es schrecklich, wenn jemand aufgrund solcher Fehlinformationen die Aktivkohle-Gabe unterlässt und der Hund durch die verlorene Zeit Schaden nimmt, der hätte verhindert werden können.
Die Anwendung von Aktivkohle (aka Carbo medicinalis, Carbo activatus, Carbo adsorbens, Absorbierende Kohle, ...) folgt dem Prinzip Adsorption und Elimination vor Resorption. Sie weist (abhängig von der Partikel- und Porengröße) eine enorm große Adsorptionsfläche auf und kann dadurch viele Giftstoffe binden. Sie wird nicht im Magen-Darm-Trakt resorbiert, sie verhindert damit die Resorption der Giftstoffe und beschleunigt deren Elimination. Die gebundenen Toxine werden mit dem Stuhl ausgeschieden. Sie ist dabei nahezu inert und weitgehend frei von Nebenwirkungen. Bei mehreren deutlich überhöhten Gaben kann Verstopfung bis zum Darmverschluss eintreten; die naturgemäße Schwarzfärbung des Stuhls ist völlig unbedenklich.
Aktivkohle soll nicht gegeben werden bei Vergiftungen durch Säuren oder Laugen, weil dadurch eventuell notwendige endoskopische Untersuchungen (ösophagoskopie, Gastroskopie) beeinträchtigt werden. Außerdem ist das Bindungsvermögen der Kohle für diese Stoffe schlecht.
Grundsätzlich werden Mineralsäuren und Laugen kaum, Eisen- und Lithiumsalze sowie Cyanide nur schlecht an Aktivkohle gebunden. Alkohole und Lösungsmittel werden ebenfalls nur unzureichend adsorbiert - hier kommen andere Maßnahmen zur Anwendung. Die meisten Arzneimittel sowie pflanzliche und tierische Gifte werden aber hervorragend gebunden, solange das Verhältnis Aktivkohle zu Gift 10:1 übersteigt.
Besonders einfach in der Anwendung sind Granulate, aus denen leicht und schnell eine gebrauchsfertige Suspension hergestellt werden kann.
Ultracarbon (DE) bzw Norit Carbomix (AT) sind rezeptfrei in jeder Apotheke erhältlich und werden direkt in der Flasche nach Zugabe von Wasser (oder Saft) durch Schütteln gebrauchsfertig. Wer sich leichte damit tut, kann selbstverständlich auch Kohletabletten geben, in der Wirkungsgeschwindigkeit (und der Faktor Zeit ist bei akuten Vergiftungen nunmal wesentlich) ist dabei allerdings die Suspension den Tabletten überlegen.
Die Anschaffung eines solchen Präparates ist kein großer finanzieller Aufwand, die tatsächliche Haltbarkeit reicht weit über den auf der Packung vorschriftsmäßig angegebenen Zeitpunkt hinaus.
Als Dosierung werden allgemein ~ 1g Aktivkohle /kg KG empfohlen.
Da erst bei mehreren deutlichen Überdosierungen mit Nebenwirkungenzu rechnen ist, sollte man im Zweifelsfall lieber etwas mehr als zu wenig in den Hund kippen. Die o.g. Präparate enthalten je 50 g Kohle --> 1/2 Flasche Suspension reicht für etwa 25 kg Hund.
Nicht anzuwenden sind Suspension oder Tabletten, wenn das Tier nicht sicher schlucken kann aufgrund von Bewusstseinsstörungen oder gar völliger Bewusstlosigkeit. Teile der verabreichten Präparate können dabei in die Lunge gelangen und eine s.g. Aspirationspneumonie verursachen.
Falls Unklarheit darüber besteht, ob der Hund erbricht, weil er tatsächlich Gift oder eher einen Fremdkörper aufgenommen hat: Aktivkohle beeinträchtigt NICHT die Darstellung eines eventuellen Fremdkörpers im Röntgenbild und kann somit im Zweifelsfall sehr wohl verabreicht werden. Außerdem wird jeder Radiologe bestätigen, dass nicht alle Arten von Fremdkörpern im Röntgen zweifelsfrei darstellbar sind - Knochen, Steine und metallische Gegenstände sind damit gut zu sehen, nicht sehr gut bis gar nicht diverse Kunsttoffteile usw.
Bei den allermeisten Vergiftungen kann durch die Gabe von Aktivkohle wertvolle Zeit gewonnen werden, die Ausnahmen wie Säuren, Laugen, Frostschutzmittel, Alkohole usw wurden bereits aufgeführt.
Medizinische Kohle - Renaissance eines Wirkprinzips
Dt. Ärzteblatt: Aktivkohle - Sofortmaßnahme bei oralen Vergiftungen
Der Artikel behandelt zwar die Applikation bei (Klein)Kindern, ist aber inhaltlich durchaus auf Hunde übertragbar.
Management von Vergiftungen beim Kleintier
Der Link zeigt auch auf, welche Infos man als Halter dem behandelnden TA geben können sollte.
LG
Andrea