Psychokur für Hunde: Wenn der Fiffi auf die Couch muss...
Sein Job verlangt ihm alles ab, die Frau an seiner Seite ist ebenfalls gestresst – und dann nervt auch noch der blöde MOPO-Reporter… Bens Laune ist im Keller. Er ist ungehalten, angespannt, miesepetrig. Weil er sich so schon länger und immer häufiger fühlt, kommt er hierher. In eine kleine Praxis am Horner Kreisel.
Klingt so weit völlig normal. Nur: Ben ist kein gestresster Mann Mitte 30, der sich alle zwei Wochen rund 90 Minuten lang den Bürostress wegkneten lässt. Ben ist ein Cane Corso Italiano. Eine Italienische Dogge. 60 Kilo schwer, mit einer Schulterhöhe von 72 Zentimetern. Ein Schwergewicht. Und zwar ein echt gestresstes Exemplar.
Den Grund dafür kennt sein Frauchen Astrid Stenney (43) nur zu gut – sie ist nämlich Trainerin für Hunde mit Aggressionspotenzial. Ben sozusagen ihr Arbeitskollege. Sein Job besteht darin, hinter einem Zaun zu stehen und sich von Frauchens vierbeinigen Problem-Kunden anbellen zu lassen. Stenney: „Er muss sich das gefallen lassen, darf nicht zurückbellen. Das ist halt stressig.“ Und weil Ben deshalb immer „auf Oberlevel“ fährt, müsse er eben „runterkommen“. Stenney: „Das ist besser. Für uns beide.“
In dem kleinen Nebenraum liegt der braune Rüde auf der hellblauen Wolldecke. Die hatte er sich beim ersten Besuch vor einem Jahr ausgesucht. Während Frauchen neben ihm längst die Augen geschlossen hat, beäugt Ben weiter den ungebetenen Störenfried in Reportergestalt, stößt Knurrgeräusche aus. Als würde er sagen wollen: „Jetzt hau doch endlich ab!“
Vom iPad erklingt das Rauschen des Meeres. Entspannungsmusik. Kerstin Gey (51), die Tiertherapeutin, die diese Psychokur für Hamburgs Hunde anbietet, lässt sanft ihre Hände über Bens bulligen Körper streifen. Von Minute zu Minute wird seine Atmung ruhiger, er legt seine große Pfote auf die Hand seines Frauchens, die Muskeln um die Schnauze entspannen sich langsam, die Augenlider fallen zu.
„Wir übertragen unseren Stress auf unsere Tiere“, erklärt die Hundeflüstererin, die diese Entspannungstherapie neben Naturheilkunde und einem Bewegungsprogramm seit etwa eineinhalb Jahren anbietet. Gey: „Die Hunde tragen unseren Alltag, der meist stressig ist, mit. Und sie merken, wenn wir unruhig sind. Das ist eine Spirale“, sagt sie. Deshalb werden in ihrer Praxis beide behandelt. Frauchen und Hund. Gemeinsam.
55 Euro kostet eine Einzelsitzung. Aber bringt das wirklich was? Seit Jahren wird erforscht, wie sich Stress auf Hunde auswirkt. Das Max-Planck-Institut kam beispielsweise zum Ergebnis, dass der beste Freund des Menschen eine angespannte oder gestresste Haltung aus der Umgebung tatsächlich wahr- und annimmt. Kerstin Gey: „Das ist gefährlich und hat Folgen: Allergien und andere Zivilisationskrankheiten etwa.“
Deshalb will sie ihren Patienten helfen. Kerstin Gey behandelt nicht nur, sondern zeigt auch Techniken, damit die Zweibeiner mit den Hunden zu Hause entspannen können. Ben und sein Frauchen machen das inzwischen regelmäßig. Astrid Stenney: „Wir schalten dann den Fernseher aus, das Telefon. Das ist dann unsere Zeit, machen die Entspannungs-CD an und aktiv einfach mal nichts.“ Entschleunigung nennt das Tiertherapeutin Kerstin Gey.
Doch nicht nur Arbeitshunde wie Ben gehören zu ihrem Kundenkreis. Auch der Terrier-Dackel-Schnauzer Ian (5) und die Yorkshire-Mischlingshündin Leni (6) nehmen das Angebot mit ihren Frauchen inzwischen regelmäßig an – allerdings in der Gruppe. Ian war unausgeglichen, bellte viel, erklärt sein Frauchen Marei (24). Sie sagt: „Seitdem wir das hier machen, findet er endlich zur Ruhe. Außerdem haben wir ein anderes, intensives Verhältnis zueinander.“
Wie sehr diese Therapie Ben, Ian und Leni tatsächlich hilft – ungewiss. Denn nur, weil sie sich wie Menschen behandeln lassen, können sie noch lange nicht sprechen. Schade eigentlich.
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