Traumberuf Tierarzt ...?

Tipps und Anregungen zu Gesundheitsfragen können und sollen keinen Tierarztbesuch ersetzen!

Traumberuf Tierarzt ...?

Beitragvon chino » 11.01.2015, 18:33

Dunkle Tage, dunkle Gedanken...
Von Ralph Rückert, Tierarzt

Ich liebe meinen Beruf! Wirklich! Trotzdem überkommt mich - speziell in dieser dunklen Jahreszeit - manchmal das ungute Gefühl, dass man als freiberuflich tätiger Tierarzt langfristig nur vier Möglichkeiten hat: Man wird mit den Jahren ein von allem Mitgefühl befreiter und maximal dickfelliger Kotzbrocken, man landet irgendwann mit einem Burnout oder einem depressiven Schub in der Psychiatrie, man bringt sich um oder man schafft es - was natürlich am erstrebenswertesten erscheint - mehr oder minder lädiert glücklich bis in den Ruhestand.

Für einige vielleicht überraschend: In vielen westlichen Ländern belegen Tiermediziner beiderlei Geschlechts regelmäßig und mit weitem Abstand den ersten Platz in der Selbstmord-Statistik.

Neben sicherlich vielen anderen, von denen außerhalb ihres Umfeldes niemand Kenntnis genommen hat, haben sich im vergangenen Jahr zwei Kolleginnen unter zumindest in Fachkreisen lebhafter Anteilnahme das Leben genommen. Ohne über die privatesten Sorgen und Nöte von Shirley Koshi und Sophia Yin (mögen sie in Frieden ruhen!) näher informiert zu sein, verkörpern sie für mich doch beide in einer gewissen Weise Problembereiche, die uns allen zeitweise schwer zu schaffen machen.

Wenn wir uns die Umstände von Shirley Koshis Freitod ansehen, erhaschen wir einen Blick in die widerwärtige Fratze des Cyber-Mobbings. Shirley (sie wurde 55 Jahre alt) eröffnete im Sommer 2013 relativ spät in ihrem bewegten Berufsleben ihre eigene bescheidene Praxis in New York. Etwa einen Monat später wurde ihr ein kranker Kater in die Praxis gebracht, der in schlechtem Zustand und mit einer schweren Infektion der Atemwege in einem nahen Park aufgegriffen worden war. Shirley behandelte den Kater erfolgreich und beschloss dann, den Streuner zu adoptieren. Allerdings tauchte alsbald eine Frau in ihrer Praxis auf, die behauptete, dass der Kater, genannt Karl, Mitglied einer Gruppe frei lebender Katzen in dem bewussten Park sei und von ihr versorgt würde. Deshalb verlangte sie von Shirley die Herausgabe des Katers, was diese aus nachvollziehbaren Gründen verweigerte.

Die Frau klagte auf Herausgabe des Tieres, war aber nicht in der Lage, gegenüber den zuständigen Stellen ihr Eigentumsrecht zu belegen. Daraufhin startete sie eine Diffamierungskampagne gegen Shirley, die Mahnwachen vor der Praxis und fortgesetzte persönliche Angriffe und Verleumdungen in den sozialen Medien beinhaltete. Die Praxis-Homepage und die Facebook-Seite von Shirley wurden mit übelsten Schmierereien und Beleidigungen angegriffen. Vielleicht hätte Shirley in dieser geschäftlich hochsensiblen Phase kurz nach Praxiseröffnung einfach nachgeben sollen. Hat sie aber nicht, und als die erbarmungslos durchgezogenen Angriffe Anfang 2014 ihre Praxis wirtschaftlich zugrunde gerichtet hatten, nahm sich Shirley mit einer Überdosis Phenobarbital das Leben.

Und so wurde ihr Tod von einer der beiden Websites kommentiert, die für diese Hetzkampagne in erster Linie verantwortlich waren (übersetzt von mir): "Shirley Sara Koshis Nachruf (…) ist online erschienen, und ich habe gerade erfahren, dass Kater Karl IN SICHERHEIT und zu Hause ist, nach einem Umweg über das New Yorker Tierheim. (…) Alles was jetzt zählt ist, dass Karl da lebend und wohlbehalten rausgekommen ist, wofür alle Beteiligten dankbar sind. Das war eine lange und seltsame Geschichte, und ich bin froh, dass sie gut ausging für Karl." Anmerkung: Der Kater lebte in Shirleys Wohnung, wahrscheinlich zum ersten Mal in seinem Leben gut umsorgt und wohl genährt. Inzwischen ist er gerüchtehalber wieder in dem Park gesehen worden.

Viele Kommentare feierten dies als großen Erfolg der Kampagne. Auf kritische Anmerkungen einiger weniger, die ganz richtig befürchteten, dass die Flut an Hass-Botschaften zu Shirleys Tod beigetragen haben könnten, war das folgende Posting zu lesen: "LOL (steht für lautes Auflachen), Dr. Koshi trug zu Dr. Koshis Tod bei. Selbstmord ist die Konsequenz ihrer eigenen Handlungen."

Da kann es einem schon kotzübel werden! Shirley hatte nach dem, was ich gelesen hatte, schon vorher psychische Probleme und hat vielleicht dementsprechend sensibel auf die Hasskampagne reagiert. Aber in den Ruin und in den Tod getrieben wurde sie - wegen des Schicksals einer Streunerkatze - von einer tollwütigen Horde bösartiger und sadistischer Vollpfosten, die im realen Leben mit größter Wahrscheinlichkeit absolut nichts gebacken bekommen und sich demzufolge an ihrer perversen Macht als Internet-Piranhas berauschen. Das ist DER Aspekt des Netzes, mit dem ich absolut nicht zurecht komme.

So klar die Fakten in Shirley Koshis Fall auf der Hand liegen, so auf den ersten Blick rätselhaft erscheint Sophia Yins Selbstmord mit gerade mal 48 Jahren. Ich habe Sophia nicht persönlich gekannt, aber viel von ihr gelesen, ebenso viel von ihr gelernt und sie in vielen Videos bei ihrer Arbeit beobachtet. Vielleicht liegt es daran, dass mich ihr Freitod doch ziemlich mitgenommen hat. Sophia war eine nicht nur in den USA, sondern auch weltweit anerkannte und sehr erfolgreiche Verhaltensspezialistin. In ihren Video-Clips vermittelte sie immer einen äußerst kompetenten Eindruck und strahlte eine natürlich-gelassene Fröhlichkeit aus. Im Nachhinein fragt man sich natürlich, was sie hinter dieser makellosen öffentlichen Fassade verborgen hat, die sie, wie die meisten von uns, eisern aufrecht erhalten hat, oder besser gesagt, aufrecht erhalten musste.

Ja, musste! Denn viele Kunden (jetzt mal allgemein und ohne jede Berücksichtigung der vielen rühmlichen Ausnahmen gesprochen) sind in diesen Zeiten gerne gnadenlos in ihren Erwartungen. Es wird nicht weniger gefordert als Perfektion, also absolut fehlerfreie Leistungserbringung bei gleichzeitig unerschütterlicher Dauer-Bestlaune. Einmal schlecht aufgestanden und kurz eine Angestellte angeraunzt oder einmal ein verzogenes Kind angepfiffen, das man neben der (selbstredend bitte perfekten) Behandlung des Patienten ständig davon abhalten muss, sich mit irgendwelchem medizinischen Gerät zu verletzen - schon hat man eine gute Chance darauf, dass der Vorfall, gern entsprechend ausgeschmückt und aufgeblasen, auf Facebook, Twitter oder wo auch immer durchgehechelt wird.

Je besser der Ruf ist - und Sophia war auf ihrem Spezialgebiet höchst angesehen - desto weniger kann man sich auch nur den kleinsten Fehler erlauben. Ein Formtief, wie es im Sport zum guten Ton gehört? Für Tierärzte schlicht undenkbar! Darüber offen reden, wenn es einem schlecht geht, egal aus welchen Gründen? Vergiss es! Das steht innerhalb von Stunden im Netz! Reiß dich am Riemen, Mensch! Lächeln, immer weiter lächeln! Diese neue Art von Druck, ständig unter öffentlicher Beobachtung zu stehen, niemals schlecht drauf sein zu dürfen, setzt vielen Kolleginnen und Kollegen immens zu.

Als Verhaltensmedizinerin hat Sophia auf einem Feld gearbeitet, wo es sehr häufig um Leben oder Tod geht. Weltweit gesehen werden nämlich die meisten Hunde und Katzen nicht etwa wegen unheilbarer Krankheiten, sondern auf Grund von Verhaltensproblemen eingeschläfert. Sophia war mit ihren Therapieansätzen natürlich sehr häufig erfolgreich, aber auch sie ist mit Sicherheit immer wieder gescheitert, was dann für den betreffenden Patienten eventuell das endgültige Aus bedeutet hat. Und da kommt dann der unbarmherzigste Kritiker überhaupt auf den Plan: Man selbst!

Alle guten Tierärzte sind sehr darauf fixiert, immer besser zu werden, immer am Ball zu bleiben. Wenn es ihnen nicht gelingt, einen Patienten zu heilen oder wenigstens seine Lebensqualität zu verbessern, so wird das ungesund häufig als schwere Niederlage, wenn nicht gar als persönliches Versagen empfunden. Ein hohes Maß an Selbstkritik, eigentlich unerlässlich für jeden, der in seinem Beruf gut sein will, geht leider auch mit einer hohen Rate an Depressionserkrankungen einher.

Wer glaubt, dass man in diesem Beruf abends einfach die Praxistür hinter sich zumacht und gut ist es, der täuscht sich. Keiner von uns kann nach ein paar Jahren die Nächte zählen, die man schlaflos in der Sorge verbracht hat, irgend etwas übersehen, irgend etwas falsch interpretiert zu haben. Man verbringt im Laufe des Berufslebens Hunderte von Stunden damit, seine eigenen Entscheidungen zu hinterfragen. Und natürlich stößt man dabei auf Fehler, die einem unterlaufen sind, manche harmlos, manche mit schweren Konsequenzen. Ich bilde mir ein, dass ich in solchen Fällen immer ehrlich zu meinen Kunden war und meine Fehler offen dargelegt habe. In einer Zeit aber, in der schon eine zu kurz geschnittene Kralle zu einem negativen Eintrag in einem Bewertungsportal führen kann, zweifle ich zunehmend an diesem Konzept. Die perfekte Fassade der digitalen Reputation darf keine Kratzer bekommen!

Dabei wird es - für viele von uns überraschend, was sicher auch für Sophia galt - mit den Jahren immer problematischer, nicht melancholisch oder depressiv zu werden. Wir haben so viele schöne Beziehungen zu unseren Patienten, aber sie enden alle mit dem Tod, meistens mit dem Tod aus unserer Hand. Ich arbeite jetzt seit fast 30 Jahren und ich habe Tausende von Leben beendet - und es wird immer schwerer. Wie ein amerikanischer Kollege vor kurzem geschrieben hat: Es ist, als ob sich immer mehr Blei in deinen Kitteltaschen ansammelt. Natürlich töte (ja, jetzt lasse ich mal die schönfärberischen Umschreibungen weg) ich oft genug schwer leidende Patienten, bei denen ich froh bin, dass ich ihnen den Notausgang aufmachen kann. Andere töte ich mit Wut im Bauch, weil sie durch Ignoranz oder Nachlässigkeit ihrer Besitzer in eine aussichtslose Situation gebracht worden sind. Bei den meisten aber bin ich einfach traurig, dass es jetzt vorbei ist. Und dann gibt es noch die, die mir fast das Herz brechen, weil sie sich immer gefreut haben, mich zu sehen, die mir immer vertraut haben, obwohl ich für sie doch der Mann mit der Spritze war. Wenn die mich zum letzten Mal mit Vertrauen anschauen, dann geht es mir überhaupt nicht gut, auch wenn Sie als Kunde mir das meistens nicht anmerken werden.

Mit all dem und den üblichen privaten Sorgen und Problemen hatte sicher auch Sophia zu kämpfen. Ich weiß natürlich nicht, was speziell sie letztendlich zum Zerbrechen gebracht hat. Ich weiß nur - aus persönlicher Erfahrung, aus Gesprächen und aus statistischen Daten zu Burnout und Selbstmord in unserem Beruf - dass erschreckend viele von uns gefährlich nahe am Abgrund entlang stolpern, so dass es oft nur noch einen kleinen Schubs braucht, damit es zum Absturz kommt.

Warum habe ich diesen Artikel geschrieben? Weil es mir selber schlecht geht? Nein, mir geht es dankenswerterweise gut und nach wie vor liebe ich meinen Beruf. Das muss nicht so bleiben. Viele, die es erwischt hat, sind ganz unversehens ins Trudeln geraten. Also nein, es geht nicht um mich persönlich. Meine Absicht war eher, zum einen eine Art von Nachruf für die beiden Kolleginnen zu schreiben, zum anderen Ihnen, den Kunden, einen kleinen Einblick hinter die glatt polierte Dienstleister-Fassade eines Berufsstandes zu gewähren, der mehr Selbstmorde produziert als jeder andere. Und Sie haben sicherlich verstanden, dass es auch ein klein wenig als Appell an Sie gemeint ist, sich immer mal wieder ins Gedächtnis zu rufen, dass Ihre Tierärztin oder Ihr Tierarzt nicht aus Gusseisen ist, sondern ein Mensch mit all seinen Schwachstellen.

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Re: Traumberuf Tierarzt ...?

Beitragvon chino » 13.08.2015, 08:51

Hallo,

eine weitere Facette dieses "Traumberufes" ist die Tätigkeit als AmtsVet.

Oft liest man von Fällen, wo Tiere (vielfach über mehrere Jahre) unter untragbaren Bedingungen leben mussten, bis "endlich was dagegen unternommen wurde". Dann schüttelt man entsetzt den Kopf und fragt sich, wieso das so lange toleriert wurde und warum der zuständige AmtsVet nicht viel schneller reagiert hat.

Der folgende Artikel gibt einen kleinen Einblick in den Alltag dieser TÄ:
Tod einer Amtstierärztin
Kampfzone Stall

Eine Amtstierärztin bringt sich um. War der Druck von Landwirten auf der einen und Tierschützern auf der anderen Seite zu groß? Über die aufreibende Arbeit zwischen Massenviehhaltung und Tiereswohl.

Wenige Stunden vor ihrem Tod räumte Anya Rackow ihren Büroschreibtisch auf. Ein Montag, 11 Uhr. Zum letzten Mal verabschiedete sie sich von ihren Kollegen im Veterinäramt. Sie brachte ihren Hund in eine Pension. Sie schrieb ihr Testament. Wahrscheinlich hatte sie das Gift, mit dem sonst Tiere getötet werden, da schon bei sich zu Hause.

Anya Rackow hatte als Amtsveterinärin schon viele Tiere damit umbringen müssen, und jedes Mal litt sie mit. Familienfeiern ließ sie ausfallen, weil niemand auf ihre Hunde und Pferde aufpassen konnte. Ihr Bett war mit Tierbettwäsche bezogen. Der Tierschutz war ihre Lebensaufgabe, würde es später in einem Nachruf heißen.

Wer die Tiere liebt, ärgert sich oft über die Menschen. Anya Rackow kontrollierte 20 Jahre für das Veterinäramt Bad Mergentheim in der baden-württembergischen Provinz Bauernhöfe und Schlachtereien. Sie schaute nach, ob zu viele Schweine in einer Box stehen, alle Rinder eine Ohrmarke haben. Meistens war alles in Ordnung, aber manchmal eben auch nicht.

Von 1000 Landwirten machen im Schnitt zehn bis 15 Probleme. Die Tierärztin musste dann Strafen verhängen, die den Landwirten finanziell weh taten.

Anya Rackow war preußisch, fleißig, unbestechlich – das sagt ihr Vorgesetzter. Sie war übergenau und arrogant – sagen manche Landwirte. Auf jeden Fall war sie hart. Gegen andere, aber vor allem gegen sich.

Deswegen wollte sie wohl auch die Gefahr nicht sehen. Ihr wurden von Landwirten Prügel angedroht. Sie hatte vier Handys, drei für den privaten Gebrauch, eines dienstlich. Anya Rackow zog sich immer mehr zurück, das fiel auch den Kollegen auf. Der Leiter des Veterinäramts bat sie um ein Mitarbeitergespräch.

Was los sei, fragte er. „Ich werde bedroht.“ Ob sie sich bedroht fühle oder konkret bedroht werde, fragte der Vorgesetzte. Sie sagte: „Ich werde bedroht.“ Er wollte ihr helfen, bot ihr an, sie in eine andere Abteilung zu versetzen. Anya Rackow wollte nicht, denn das ändere nichts. „Ich bin zum Abschuss freigegeben.“

14 Tage später war Anya Rackow tot. Sie hatte sich an einem Montag im Oktober vergangenen Jahres in ihrer Wohnung vergiftet. Erst zwei Tage später fand die Polizei sie. Einer Nachbarin war aufgefallen, dass der Schlüssel von außen steckte. In der Wohnung hingen überall kleine Zettel, wo was zu finden sei. Anya Rackow war organisiert – bis zum Schluss.

Und konsequent. Das ist es vor allem, was Horst Schöntag, ihren Vorgesetzten und Amtsleiter, bis heute beeindruckt und erschreckt zugleich. „Ihr Selbstmord war der logische Schritt. Sie wusste, dass sie ihre Arbeit nicht mehr so machen konnte wie bisher. Also hörte sie auf, mit allem.“

Attacken von Seiten der Tierschützer

Alle Amtstierärzte, nicht nur Anya Rackow, stehen im Feuer von vielen Seiten. Sie müssen einen Kompromiss finden zwischen Massenproduktion und Tierwohl. Sie wollen nur das Beste für die Tiere. Aber mit dem, wie sich viele Verbraucher einen Bauernhof vorstellen – zehn Schweine, drei Hühner, fünf Schafe – hat die landwirtschaftliche Produktion heute nicht mehr viel zu tun. Kommt es zu einem Skandal – Gammelfleisch oder Pferdefleisch – rufen viele nach mehr Kontrolle. Aber mehr Personal gibt es dafür nicht. Am Ende sind alle unzufrieden.

Besonders laut trommeln die Organisationen, die sich dem Tierschutz verpflichtet haben. Sie haben viele Unterstützer auf ihrer Seite, denn sie haben die Bilder. Von Schweinen mit abgebissenen Schwänzen, von toten Küken. Mit großen Kampagnen, Plakaten und Spots, bewegen sie die Herzen aller Tierfreunde. Sie beschuldigen die Landwirte, das ist nicht überraschend, nicht genug für den Schutz der Tiere zu tun. Aber nun attackieren sie auch die Tierärzte, denn die kämen ihrer Aufsichtspflicht nicht nach.

Die Nichtregierungsorganisation „Animal Angels“ veröffentlichte im Internet eine Liste mit den vollen Namen von Veterinäramtsleitern, die ihrer Meinung nach zu landwirtschaftsfreundlich sind.

„Peta“ stellt seit einigen Jahren ein Ranking auf, mit den besten und schlechtesten Veterinärämtern. Der Ton der bekannten Organisation ist scharf: „Von den 430 Veterinärbehörden in Deutschland können sie 400 vergessen. Nur 30 arbeiten so, wie es das Gesetz vorschreibt“, sagt Edmund Haferbeck, Jurist bei „Peta“. Sind die Methoden dennoch gerechtfertigt?

„Wir sehen es als Lob an, wenn man uns als radikal bezeichnet.“ „Peta“ sehen sich immer moralisch auf der richtigen Seite und andere setzen die Landwirte unter Druck und machen Stimmung. „Peta“ und Co. haben alle Tierfreunde hinter sich, die Amtstierärzte haben nur ihre Verordnungen, die sie überprüfen müssen. Es ist ein ungleicher Kampf.

Auch Anya Rackow hat diesen Druck gespürt. Es war hart für sie: Sich selbst so sehr für die Tiere einzusetzen, und dann vorgeworfen zu bekommen, Tiere zu quälen. Vielen anderen Amtstierärzten, so ist zu hören, geht es ähnlich.

Die Tierrechtsorganisationen sind zu einem bedeutenden Machtfaktor geworden. Sie haben die Arbeit der Tierärzte nicht einfacher gemacht, und auch das Verhältnis zwischen ihnen und den Landwirten leidet darunter. Dass Anya Rackow womöglich depressiv gewesen sei oder andere Probleme zum Selbstmord geführt hätten, schließt ihr Vorgesetzter aus.

Freitod als „Warn- und Mahnruf“
In der Todesanzeige, die Schöntag veröffentlichte, schreibt er von einem „Warn- und Mahnruf“, der der Freitod sei. Der Tod werfe viele Fragen auf, die die Anforderungen von Amtstierärzten beträfen. Das Landratsamt des zuständigen Main-Tauber-Kreises spricht von einem Vorfall „außerhalb des Dienstes“ und will sich konkret dazu nicht äußern.

Ist der Suizid der Amtsveterinärin ein tragischer Einzelfall oder steckt dahinter ein System?

Im Februar dieses Jahres bringt sich in Mecklenburg-Vorpommern ein Veterinäramtsleiter um. Im Havelland erschießt im Januar ein 72 Jahre alter Landwirt einen Kontrolleur mit der Schrotflinte, weil ihm 35 Kühe weggenommen werden sollten.

Und eine Amtsleiterin aus Niedersachsen, die sich vor allem im Tierschutz und der Tierseuchenbekämpfung engagierte, musste sich vor kurzem dienstunfähig schreiben lassen. Wie die meisten ihrer Kollegen war sie schon lange in ihrem Beruf tätig. Tierärzte sind Überzeugungstäter.

Sie erlebte 2006 die Schweinepest mit – „eine enorme psychische Belastung“. Der Amtsvertreter, der die Tiere wegnimmt, auf der einen Seite – der Landwirt, der um seine Existenz bangt, auf der anderen. Dabei seien die meisten gar nicht sonderlich aggressiv, sagt die Tierärztin, die nun ihre Ruhe haben will, weswegen ihr Name auch nicht in der Zeitung stehen soll.

Schlimmer seien die privaten Tierhalter, die „halbreligiös“ um ihre 20 Katzen in der kleinen Wohnung kämpften. Mancher Veterinär habe für solche Einsätze Selbstverteidigung gelernt, ohne Polizeibegleitung betrete kaum einer noch eine Wohnung. Ein aufgebrachter Tierhalter rief der Ärztin hinterher, man müsse ihr einen Bolzen durch den Kopf jagen. Ein Zirkusbesitzer drohte: „Wenn Sie noch einmal kommen, freuen sich die Löwen.“

Viele waren schockiert, aber nicht überrascht
Die Tierärztin kennt die Geschichte von den Bedrohungen und dem Tod ihrer Kollegin Anya Rackow. Sie selbst habe rechtzeitig den Absprung geschafft, sich in Therapie begeben, Anya Rackow offenbar nicht. Nicht nur sie erschreckte darüber, überall im Land schreckten sie in den Ämtern auf. In Bad Mergentheim kamen Dutzende E-Mails an, mit dem Tenor: „Bei uns ist es genauso.“ Viele waren schockiert, aber nicht überrascht.

Denn woran das System der Amtstierärzte krankt, spüren alle. Da ist einmal der eigene Anspruch. Wer Tierarzt wird, will Gutes tun. Dem Hund geht es nach der Operation besser, die Katze ist endlich von dem schmerzenden Stachel befreit. Wer die Beamtenlaufbahn einschlägt, kann Karriere machen und hat ein sicheres Einkommen.

Aber er muss auch auf die Höfe, sich mit ärgerlichen Landwirten herumschlagen und unpopuläre Entscheidungen treffen. Früher hatten die Amtstierärzte einen recht großen Entscheidungsspielraum. Heute gibt es ganz klare Vorgaben.

Festgehalten sind sie in der „Checkliste Cross Compliance“ für landwirtschaftliche Unternehmen. Erwähnt man diese 30 Seiten starke Liste, sprudeln Bauern und Ärzte sofort los. Denn das Ausfüllen des Fragebogens ist nicht nur aufwändig.

Wo der Amtsvertreter vorher ein Auge zudrücken konnte, kann er sich jetzt nur noch zwischen „Ja“ und „Nein“ entscheiden. Ist zu oft „Nein“ angekreuzt, kann das den Landwirt bis zu mehreren Tausend Euro kosten, die ihm an Fördermitteln gestrichen werden. Aber auch die Veterinäre fühlen sich nicht wohl in dieser Rolle, sie haben sich ihren Berufsalltag eigentlich anders vorgestellt. Aber sie haben keine Wahl.

Nicht nur der Tierschutz beginnt schon im Stall

Zum Anderen gibt es zwar immer mehr Verordnungen, die kontrolliert werden müssen, aber immer weniger Kontrolleure. Nicht nur der Tierschutz, sondern auch die Lebensmittelüberwachung beginnt schon im Stall, und endet in der Zoohandlung und an der Metzgertheke. Ein Teil der Betriebe wird zufällig überprüft; wer in der Vergangenheit auffällig war, muss zudem mit einem Besuch der Amtsveterinäre rechnen. Bei nur sechs Tierärzten, die zum Beispiel in Anya Rackows Landkreis tätig waren, wird es da schnell eng.

Das sehen natürlich auch die Landwirte. „Manche sind gestresst, klar“, sagt Kathrin Seeger und schließt die Tür zu einem ihrer Schweineställe auf. Auch Kathrin Seeger, Landwirtin im hessischen Otzberg, ist oft im Stress. Und die Kontrollen der Amtsveterinäre dauern oft lange. Trotzdem würde Kathrin Seeger sich wünschen, dass das Amt häufiger über ihren Hof schauen würde, damit sie auf der sicheren Seite ist. „Wir haben ja nichts zu verbergen.“ Kathrin Seeger öffnet die Tür des Medikamentenschranks, zeigt die Futterpläne.

Sie geht mit ihrem Besucher die Kontrollpunkte ab, die bei einer Prüfung kritisch sein könnten. Gerne würde man die auch einmal gemeinsam mit einem Tierarzt abgehen, aber keiner erklärt sich dazu bereit. Die Landwirte reden, und die Amtsveterinäre reden auch – aber nie zusammen. Bei einer Kontrolle auf einem Hof dabei zu sein ist nicht möglich. „Kein Wunder, die Luft brennt“, sagt einer aus der Branche, der beide Seiten kennt.

Veterinäre hätten eine große Macht

Es gibt aber auch die, die beschwichtigen. Natürlich sei das Verhältnis zwischen Landwirten und Amtsvertretern nicht immer entspannt. Dass der Selbstmord von Anya Rackow auf ein grundsätzliches Problem hinweist, hält Martin Geißendörfer, Kreisgeschäftsführer des Kreisbauernverbands Main-Tauber-Kreis, für „Spekulation“.

Schließlich habe sie keinen Abschiedsbrief hinterlassen. Er habe vielmehr das Gefühl, dass versucht werden solle, ihren Tod auf die „Landwirte abzuschieben“.

Auch andere Tierärzte hätten ihm gesagt, dass es schwierig bis unmöglich gewesen sei, einen Zugang zu ihr zu finden. „Anya Rackow war sehr genau. Eine der Schärferen. Sie lag zwar nie über dem, was gesetzlich vorgeschrieben war, aber sie ging bis ans Äußerste“, sagt Geißendörfer. Die Veterinäre hätten eine große Macht.

„Ja“, sagt Schweinebäuerin Kathrin Seeger, „aber auch nein“. Sie will die Landwirte nicht als Opfer der Veterinäre sehen. Ihr machen vielmehr auch die Tierschutzorganisationen Sorgen. Wenn ein Artikel über ihren Hof in der Zeitung erscheint, bekommt sie regelmäßig Hassnachrichten übers Internet. Die Amtsveterinäre machten nur ihre Arbeit, sagt die Landwirtin. Manche schärfer, manche nachgiebiger. Aber die Tierschutzorganisationen seien richtig scharf. Die hätten wirklich Macht.

Bei „Peta“ sehen sich das naturgemäß etwas anders. „Eigentlich stehen die Ärzte doch unter der Knute des Landrats, und der spürt den Druck der Industrie“, sagt Haferbeck von „Peta“. Auch er kennt die Geschichte von Anya Rackow. Schweinemäster hätten sich über ihre Kontrollen beim Landrat beschwert. Ob das stimmt, lässt sich nicht beweisen.

Horst Schöntag, Anya Rackows Vorgesetzter, will aber keine Ruhe geben. Er hat eine Todesanzeige in einer großen überregionalen Zeitung veröffentlicht, im Deutschen Tierärzteblatt einen Nachruf geschrieben. Anya Rackow hasste Nachrufe. Als im vergangenen Jahr ein Kollege an Krebs starb, war sie dagegen, öffentlich an ihn zu erinnern. Jetzt wird ihr selbst womöglich ein Denkmal gesetzt. Ein Tierschutzpreis soll ihren Namen tragen.

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