von Kailyn » 24.08.2013, 19:04
Ich kenne Flooding-Therapien bisher nur beim Menschen. Ich war als Jugendliche einige Zeit in einer psychiatrischen Anstalt, wo das Flooding bei sozialen Phobien praktiziert wurde. Ich kann mich an einen 12-jährigen Jungen erinnern, der furchtbar ängstlich war. Man durfte ihm gegenüber nie laut werden, ihn nicht einmal freundlich zurechtweisen, er hatte sofort Angst, hat sich klein gemacht, trat ständig weg und murmelte und betete vor sich hin. Ich weiß nicht, warum er so war (irgendwas mit seiner Mutter oder so), aber er reagiert sehr extrem auf negative Emotionen oder auf Situationen, in denen er negativ bewertet werden oder anderen Menschen irgendwie Ärger bereiten könnte. Der arme Kerl wurde wochenlang von den Pflegern immer wieder angebrüllt, sogar verhöhnt, bis er (augenscheinlich) so abgehärtet war, dass es ihm nichts mehr ausmachte. Nach außen hin wirkte er plötzlich selbstbewusster, wehrte sich gegen Schikane, interessierte sich nicht dafür, wenn ihm jemand blöd kam - aber ich schwöre, der Bengel hatte danach noch einen größeren Knacks weg als vorher. Ich fand ihn hinterher einfach nur noch gruselig.
Flooding beim Menschen empfinde ich nur dann als okay, wenn der "Patient" sich willentlich und wissentlich dafür entscheidet, weiß, was auf ihn zukommt und auch die Möglichkeit hat, das Experiment jederzeit abzubrechen. In meiner psychiatrischen Kliniken wurde das Flooding aber oft ohne Einverständnis praktiziert, vor allem wenn es sich um soziale Phobien handelt, die der Patient überwinden "muss", wenn er jemals normal leben möchte. Das führt vielleicht dazu, dass man die Phobie irgendwann aushält, aber nicht, dass man das, wovor man Angst hat, in irgendeiner Weise plötzlich "besser" oder gar gut findet. Ich war wegen einer mittel ausgeprägten Soziophobie mit 16 Jahren in einer Klinik, weil ich wochenlang nicht gesprochen habe und nicht in die Schule ging. Auch bei mir wurde Flooding praktiziert, indem ich mir jeden Abend die Nachrichten ansehen und sie mir möglichst detailliert merken musste. Eine Stunde später musste ich aufschreiben, was ich noch wusste und den Pflegern und meinen Mitpatienten vortragen. Man machte auch einen IQ-test mit mir, der im Grunde nicht dafür vorgesehen war, meine Intelligenz zu testen, sondern mich dazu zwang, mich einer prüfenden Situation auszusetzen. Es war eine riesengroße Scheiße und jedes Mal, wenn ich mich weigerte, etwas zu tun, sperrte man mich drei oder vier Tage lang in ein Zimmer mit Kamera, ohne Strom. Klo und Dusche vorhanden. Dadurch habe ich mich den Situationen irgendwann gestellt, weil ich die Sanktionen fürchtete und auch, weil der Druck durch das ständige Flooding so hoch war und ich mich so schlecht fühlte, dass ich irgendwann einfach alles mitmachte, nur um endlich entlassen zu werden.
Das heißt aber nicht, dass ich es heute toll finde, im Mittelpunkt zu stehen. Tatsächlich habe ich die Phobie erst lange Zeit nach meinem Klinikaufenthalt einigermaßen ablegen können, aber mir geht jetzt schon der Arsch auf Grundeis, wenn ich an meine Lesungen nächstes Jahr denke. Ich hasse es, bewertet zu werden.
Beim Flooding setzt man sich einer Situation aus, die eigentlich schon viel zu viel ist. Der ganze Körper steht unter Stress. Die Grundstimmung ist negativ. Als Mensch weiß man aber in der Regel, was zu tun ist, eventuell wächst man über sich hinaus.
Da so etwas beim Hund aber schlecht umzusetzen ist, weil man einfach nicht mit ihm reden kann, lehne ich Flooding beim Hund ab. Ich lehne es sogar beim Menschen weitestgehend ab, außer der Mensch macht es freiwillig, will es und weiß, was ihn erwartet.
Ich habe mit Flooding bisher nur schlechte Erfahrungen gemacht, allerdings war das Umfeld, in dem ich Erfahrungen damit gesammelt habe, auch nicht gerade supertoll. Ich habe es an mir und bei anderen Jugendlichen gesehen, dass unfreiwilliges Flooding nur aus Stress, Druck, Hilflosigkeit und Resignation besteht. Man gibt irgendwann auf. Im Grunde macht man doch beim Hund nichts anderes, denn man kann ihn schließlich nicht fragen, ob er das möchte und ob er glaubt, dass er die Situation packt. Beim Flooding fängt man auch nicht "klein" an, sonst wäre es kein Flooding. Klein anzufangen bedeutet Gewöhnung und das ist, zumindest für mich, die bessere Lösung, bzw ist Flooding bei einem Individuum, das seine Einwilligung nicht geben kann, völlig indiskutabel.
Eine Phobie beim Hund kann auch eventuell nie ganz überwunden werden, so wie es auch Menschen gibt, die mit ihren Phobien zwar klarkommen, ab einem gewissen Punkt aber eben nicht mehr. Ich habe auch eine Wurmphobie, bzw habe ich einfach nur panische Angst vor Würmern, Maden und Raupen aller Art. Ich komme mit einer einzelnen Raupe zurecht, ich habe fast gar keine Angst mehr vor Regenwürmern Maden sind immer ein Problem, das kriege ich einfach nicht gebacken). Aber wenn ich, wie vor zwei Jahren, durch Zufall an einem Baum vorbeikomme, der einfach BESCHISSEN VOLL ist mit abertausenden von Seidenraupen, dann werdet ihr nur noch eine Staubwolke und das Echo meiner Schreie hören. Mein Freund hat sich kaputtgelacht, bis er gesehen hat, dass ich am ganzen Körper zitterte, heulte und kaum noch laufen konnte.
Sheeva geht es ähnlich mit Böllern und Gewitter. Mal ein Knall ist nicht schlimm. Ein kurzes Feuerwerk ist mittlerweile auch noch zu verkraften, aber an Sylvester bricht die Hölle los und jetzt ratet mal, wie gut der eine, jämmerliche Floodingversuch bei ihr mit einer Böller-CD geklappt hat. Null. Wenn wir draußen sind und sie läuft offline und hört auch nur einen Böller hochgehen, dann ist die WEG. Sie läuft dann schnurstracks nach Hause und bleibt vor der Haustüre stehen. Wenn zufällig einer der Bewohner im Haus sie reinlässt, geht sie auch rein und wartet dann dort vor den Aufzügen auf uns.
In den meisten Fällen bewirkt Flooding beim Hund eine erlernte Hilflosigkeit, weil er der Situation nicht entkommen kann. Das hat nichts mit "aufarbeiten" oder so zu tun, es ist einfach nur schrecklich.
"At least, we all are Earthlings." (Joaquin Phoenix)