Zwischen Waldorf und Bootcamp
Nie war die Welt bunter als heute. Nie waren Hunde so auffällig, nie die Gräben tiefer, nie die Fronten verhärteter.
Die Welt der Hundehalter spiegelt die allgemeine gesellschaftliche Entwicklung wider. Nur an dieser Stelle einmal mehr auf dem Rücken der Tiere. Denn diese sind evolutionär nicht in der Lage, sich allen Trends, die sich Menschen für sie ausdenken, so schnell anzupassen. Auch wenn uns die Wissenschaft weis machen will, Hunde seien unglaublich anpassungsfähig, gelingt es doch nicht, in einer Generation von Hundehaltung alles Neue auszuprobieren. Und das ist wahrlich viel, das Neue: Da wird der Bachblütenbetupfte und Pheromon-benebelte Border im Thundershirt am Halti durch die Einkaufspassage geführt, während der tierschutzwidrig mit einem Stachelhalsband oder Teletakt ausgestattete Rotti auf dem Grün sich im Unterarm des Adjudanten verbeißt. Der Coton de Tüdelü wird von Frauchen beim Anblick einer Mülltonne mit der Flexibömmel hochgehieft, während der Modehund Rhodesian zeigend und benennend mit mantra-ähnlichem Gesäusel am Erzfeind Nummer eins vorbeigebeamt wird, wenn er nur nicht so laut bellen würde. Wiederum landet der Hovaward beim Tierpsychologen auf der Couch, weil er sich standhaft weigert, für den täglichen Spaziergang das Grundstück zu verlassen, während Menschen mit ihren Hunden stakkatomäßig gradlinig auf einem Rasencarrée marschieren und sich der Labbi im fünften Durchlauf an der dritten Ecke die Seele aus dem Leib kotzt, weil er die Leckerchen nicht verträgt.
Für jeden ist etwas dabei: Für die alte Dame, die vom Arzt tägliche Spaziergänge verordnet bekommt und endlich wieder etwas zum Bemuttern hat, für die ewig gestrigen, die immernoch kein Problem damit haben, das Wort "Führer" zu benutzen; für die Flower-Power, die vor lauter Pheromonnebel das eigentliche Leben verpassen und für solche, bei denen die Optik zur Einrichtung passen muß. Es gibt dann auch die, die sich profilieren wollen, als Retter der Tierschutzhunde oder Retter der Retter der Tierschutzhunde. Diese Liste entbehrt jeden Anspruch auf Vollständigkeit - zu bunt ist die Welt.
Neben all dem, weshalb Hunde angeschafft werden, gibt es ja auch noch die bunte Welt der Ausbildung,- Erziehungs- und Umgangsmethoden. Man kann dressieren, daß der Hund sinnentleerte Dinge tut, man kann Bedürfnisse befriedigen, die er gar nicht hat; man kann ihm Probleme machen, für die es keine Lösung gibt und man kann ihn sogar im Rudel aufstellen, wo gar kein Rudel ist.
All dies und noch viel mehr tun wir unseren Hunden an, oft genug unter dem Deckmantel der Wissenschaft, die uns weis machen will, daß der Hund so enorm anpassungsfähig ist, daß er sogar die Gesellschaft des Menschen vorzieht. Das lädt die Verantwortung zu denken auf andere Schultern und gibt ein wichtiges Gefühl. Probleme löst das nicht und gibt auch kein Bewußtsein dafür. Methoden und Modelle werden entwickelt und blumig benannt, Theorien aufgestellt und verworfen, Forschungen betrieben, wonach sich der Hund ausrichtet, wenn er sein großes Geschäft erledigt und was es bedeutet, wenn die Rute häufiger von links wedelt. Immer geht es um DEN HUND. Angeblich.
Und immer geht es um die innerhalb einer Methode angewandte gleichförmige Vorgehensweise. Doch der Hund lässt sich nicht uniformieren. Wir versuchen mit allen Mitteln, den Hund uns anzupassen, wir verbiegen ihn und seine Persönlichkeit, um unsere Vorstellung vom Zusammenleben mit Hund durchzusetzen. Der Hund wehrt sich mit allem was er hat, dagegen, zur Not auch mit Einsatz seiner Waffen. Reagiert er dann mit einem Verhalten, das wir so nicht haben wollen, attestieren wir ihm geistige Umnachtung und sagen: "er weiß nicht, was er tut!" oder "er will sich selbst darstellen" - veraltete Lerntheorien müssen herhalten, damit kognitive Fähigkeiten des Hundes negiert werden können und wir uns besser fühlen, in dem was wir tun, denn wir meinen es ja nur gut.
Was auf der Strecke bleibt, ist der individuelle Hund, sein Wesen, das ihn zu etwas ganz Besonderem macht. Warum nur tun wir uns so schwer, den Hund, UNSEREN Hund als das zu sehen was er ist: Ein sozial lebender Beutegreifer, der keine andere Wahl hat, als mit uns zusammenzuleben und dennoch eine ganz eigene Persönlichkeit mit individuellen Bedürfnissen ist. Solange wir nicht hinschauen, nicht kritisch nachfragen und vor allem nicht selber denken, rennen wir weiterhin unserem Problem hinterher.
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