Perönlichkeit und Rassenunterschiede

Caniden ticken anders als Primaten

Perönlichkeit und Rassenunterschiede

Beitragvon chino » 10.10.2014, 20:22

Hallo,

Persönlichkeit bei Retriever, Collie und Co.
Die Hunderte von Hunderassen, die man heute kennt, unterscheiden sich äusserlich zum Teil gewaltig. Was ihr «Innenleben» angeht, sind die Unterschiede aber weniger offensichtlich.

Golden Retriever sind sanftmütig, Border Collies besonders lernfähig – den meisten Hunderassen oder -rassegruppen werden anekdotisch bestimmte Charaktereigenschaften zugeschrieben. Auch die Rassestandards der Zuchtverbände beschreiben oft nicht nur körperliche Merkmale, sondern auch solche, die die Persönlichkeit oder das Temperament einer Hunderasse betreffen. Solche «Charakterfragen» interessieren zum einen (zukünftige) Hundebesitzer – zum anderen aber auch Wissenschafter. Sie untersuchen die Persönlichkeit von Hunden, um beispielsweise mehr über die Evolution von Persönlichkeitsmerkmalen zu erfahren. Doch wie verlässlich sind Aussagen und Studien zu «Rasse-Persönlichkeiten»? Um dieser Frage nachzugehen, haben Lindsay Mehrkam und Clive Wynne von der University of Florida über 60 solcher Untersuchungen ausgewertet.¹
Unterschiedliche Aufgaben

Von keinem anderen Tier kennt man so viele teilweise extrem unterschiedliche Rassen wie vom Haushund: Der grösste Dachverband der Hundezüchterverbände, die Fédération Cynologique Internationale, erkennt 343 verschiedene Rassen an. Diese werden jeweils in Rassegruppen wie Hütehunden oder Terrier zusammengefasst, die sich oft auf die unterschiedlichen Aufgaben beziehen, für die diese Hunde einmal gezüchtet wurden. Diese Aufgaben haben teilweise auch deren Verhaltensrepertoire beeinflusst. So können beispielsweise bestimmte Aspekte des Jagdverhaltens verändert sein. Beim Border Collie etwa ist das Anschleichen und Anstarren der «Beute» – in diesem Fall der zu hütenden Schafe – überbetont. Und während manche Rassen zum Hetzen verwendet wurden, soll ein Vorstehhund «erstarren», wenn er «Beute» riecht, und so deren Standort anzeigen.

Es liegt daher nahe, auch in der «Persönlichkeit» der Rassen nach Unterschieden zu fahnden. Dabei versuchen die Wissenschafter, anhand bestimmter Verhaltensweisen eines Hundes beispielsweise Rückschlüsse darauf zu ziehen, wo er im Kontinuum zwischen «schüchtern» und «draufgängerisch» angesiedelt ist, das als ein Aspekt der Persönlichkeit gilt. Um dies herauszufinden, gibt es verschiedenste Ansätze: Manche Studien «prüfen» die Tiere im Labor. Andere Untersuchungen werten die Ergebnisse von Wesenstests oder die Resultate von Umfragen aus, etwa unter Tierärzten, Hundebesitzern oder Züchtern. Zum Teil auch durch ihre Methodik bedingt unterscheiden sich diese Studien auch in der Anzahl und Auswahl der beteiligten Hunde. Sie reicht von wenigen, unter «standardisierten» Bedingungen im Labor aufgezogenen und untersuchten Individuen bis zu weit über 10 000 Tieren, die unter den unterschiedlichsten Bedingungen in privaten Haushalten leben und in Wesenstests geprüft wurden.

Wie sich laut Mehrkam bei ihrer Analyse zeigte, spielte die Methode, mit der eine Studie durchgeführt worden war, eine grosse Rolle dabei, wie gross die Rassenunterschiede waren, die in der entsprechenden Arbeit gefunden wurden. Befragten Wissenschafter beispielsweise Personen, die viel Kontakt zu Hunden haben, per Fragebogen, waren die Unterschiede deutlicher als in experimentell kontrollierten Studien, wie die Wissenschafterin berichtet. Warum genau, ist unklar. Möglicherweise spielten hier einerseits die Erwartungen der Befragten an das Verhalten bestimmter Rassen eine Rolle, spekuliert Mehrkam. Andererseits umfassten sie oft auch deutlich mehr Tiere, was es leichter machen könnte, auch kleine Unterschiede aufzuspüren. Ebenfalls auffallend war laut der Forscherin, dass sich die Persönlichkeitsprofile der Rassen teilweise unterschieden, je nachdem, aus welchem Land eine Studie stammte. Und nicht zuletzt waren die in den Untersuchungen gefundenen Persönlichkeitsunterschiede innerhalb einer Rasse teilweise praktisch genauso gross wie jene zwischen Rassen.

Solche Erfahrungen machte auch Kenth Svartberg, der an der Stockholm University die Persönlichkeit von Hunden erforschte. Er basierte einen Teil seiner Untersuchungen auf einem standardisierten Wesenstest, der in Schweden seit Jahren in Gebrauch ist. Entsprechend gross war seine Datengrundlage: Svartberg konnte auf Ergebnisse von über 13 000 Hunden aus 31 Rassen zurückgreifen.

Dabei fand er zwar «Rasse-Persönlichkeiten», stellte aber auch fest, dass sich seine «Persönlichkeitsprofile» nicht unbedingt mit jenen aus anderen Ländern deckten. Je nachdem, woher eine Studie stammt, könnte dies auch an einem kulturell bedingt anderen Umgang mit Hunden liegen, mutmasst er. Man dürfe nicht vergessen, dass nur ein Teil der Persönlichkeit genetisch bedingt sei. Ein grosser Teil werde durch die Lebensumstände und die Umwelt geformt. Erst die Tatsache, dass seine Studien auf einer sehr grossen Datenmenge beruhten, habe es ermöglicht, stabile Rassenunterschiede herauszufiltern. In Studien mit weniger Hunden wögen Stör-Faktoren wie eine unterschiedliche Aufzucht oder verschiedene Lebensumstände deutlich schwerer und könnten das Bild verzerren.

Svartberg fand in seinen Studien in Bezug auf Faktoren wie «Verspieltheit» oder «Furchtlosigkeit/Neugierde» konsistente, deutliche Unterschiede zwischen den Rassen – aber auch bemerkenswerte Unterschiede innerhalb derselben Rassen. So war der Labrador Retriever die im Mittel «furchtloseste/neugierigste» Hunderasse und der Langhaarcollie im Durchschnitt die am wenigsten «furchtlose/neugierige». Die Profile der beiden Rassen überlappten allerdings so stark, dass kein Messpunkt nur von einer Rasse besetzt war. Das heisst, es gab sehr wenige Collies, die ebenso mutig waren wie die mutigsten Retriever, und sehr sehr wenige Retriever, die ebenso ängstlich waren wie die ängstlichen Collies. Bei einigen Rassen fanden sich zudem noch Unterschiede zwischen Rüden und Hündinnen.
Verschiedene Zuchtziele

Wie Svartberg fand, spielt offenbar auch der «Zuchtzweck» eines Hundes eine nicht zu vernachlässigende Rolle für dessen Persönlichkeit. So zeigte sich in einer seiner Arbeiten, dass Deutsche Schäferhunde und Langhaarcollies, die nicht für ihre angestammte Profession, sondern für Ausstellungen gezüchtet werden, im Mittel ruhiger, weniger verspielt, neugierig und sozial interessiert waren als Erstere. Hier hatte offenbar eine Art Auslese in Bezug auf die psychische «Ausstellungstauglichkeit» der Hunde stattgefunden. Bei Boxern oder Flat-Coated-Retrievern hingegen zeigten sich diese Unterschiede nicht.

Für die Forscher zeigen diese Studien, dass sich bei Hunden bestimmte Persönlichkeitsdimensionen nachweisen lassen, diese evolutiv also nicht erst in der Primaten-Linie entstanden sind. Und was sagen sie potenziellen Hundebesitzern? Ihnen legt Svartberg ans Herz, nicht den Fehler zu machen, zu denken, nur weil alle Tiere einer Rasse gleich aussähen, seien sie auch von der Persönlichkeit her gleich. Auch wenn er konsistente Persönlichkeitsunterschiede gefunden habe, so bedeute dies lediglich, dass die Wahrscheinlichkeit, einen furchtlosen Hund zu bekommen, bei der Entscheidung für einen Labrador grösser sei als bei der Anschaffung eines Langhaarcollies. Wichtiger und aussagekräftiger sei es, viele Individuen einer Rasse kennenzulernen, sich das Zuchtziel des Züchters und die Elterntiere eines Welpen genau anzusehen.


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Re: Perönlichkeit und Rassenunterschiede

Beitragvon Xafira » 18.10.2014, 13:47

Danke für diesen Artikel, Andrea! :thumb:

Wie Svartberg fand, spielt offenbar auch der «Zuchtzweck» eines Hundes eine nicht zu vernachlässigende Rolle für dessen Persönlichkeit. So zeigte sich in einer seiner Arbeiten, dass Deutsche Schäferhunde und Langhaarcollies, die nicht für ihre angestammte Profession, sondern für Ausstellungen gezüchtet werden, im Mittel ruhiger, weniger verspielt, neugierig und sozial interessiert waren als Erstere.


Da soll nochmal jemand sagen, dass es keinen Unterschied zwischen Show- und Arbeitslinie gibt. Wobei, es gibt ja auch genügend Leute, die behaupten, dass es keine Rasseunterschiede in genau diesen Persönlichkeitsfaktoren gibt. Ich denke, das wurde damit nun widerlegt - mehr oder weniger.
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Re: Perönlichkeit und Rassenunterschiede

Beitragvon Getier » 18.10.2014, 20:30

Ich finde es mittlerweile irgendwie schade, dass es für sowas Studien braucht. Dass die Persönlichkeit des Hundes maßgeblich vom Zuchtzweck abhängt... na ja, das wusste man doch schon immer. :? Nur irgendwie ist das durch gebetsmühlenartiges "es kommt nur auf die Erziehung/Sozialisierung an!" in Vergessenheit geraten.
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Re: Perönlichkeit und Rassenunterschiede

Beitragvon THT » 19.10.2014, 08:57

Leider braucht es Studien und die sollten dann auch eigentlich Hundeinteressenten lesen. Ich kenne viele, die ihren Hund nur nach Aussehen gewählt haben und später nicht mit der Persönlichkeit und dem Wesen der Hunde klar kommen.
Ich liebe britische Hütehunde und werde wohl immer mindestens einen durchs Leben begleiten.
Liebe Grüße
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Re: Perönlichkeit und Rassenunterschiede

Beitragvon chino » 26.10.2014, 08:33

Hallo,
THT hat geschrieben:... Ich kenne viele, die ihren Hund nur nach Aussehen gewählt haben und später nicht mit der Persönlichkeit und dem Wesen der Hunde klar kommen...

Das scheint besonders bei den Hüterassen ein massives Problem zu sein: die meisten von ihnen sind irgendwas in Richtung langhaarig-kuschelig-flauschig und diese Optik scheint jegliche Vernunftüberlegung zu deaktivieren. Das Ende vom Lied sind dann Massen von Hütitütis in falschen Händen, mit einer vorhersehbaren Zukunft als Wanderpokal. :xsad:

LG
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Re: Perönlichkeit und Rassenunterschiede

Beitragvon Xafira » 27.10.2014, 07:08

Stimmt, Andrea, das ist mir auch schon aufgefallen. :(

Oder ganz bekannt jetzt ja auch Kangal und Co. - die sehen als Welpen aus wie kleine kuschelige Teddybären. Welche Bedürfnisse solche Hunde haben wird gern mal "vergessen".
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Re: Perönlichkeit und Rassenunterschiede

Beitragvon Wolfskralle » 29.10.2014, 20:21

Jupp.... da fällt mir ganz spontan der Briard ein, der in der "Szene" immer und immer als "Herz mit Fell drumherum" bezeichnet wird. Oft haben wir dann Neulinge auf den Treffen mit dem Anliegen "Hilfe, mein Hütehund hütet". Ja wie kann das denn?! :facepalm:

"Wichtiger und aussagekräftiger sei es, viele Individuen einer Rasse kennenzulernen, sich das Zuchtziel des Züchters und die Elterntiere eines Welpen genau anzusehen."- und für Aussagen wie diese braucht man ernsthaft irgendwelche Erkenntnisse aus irgendwelchen Studien, die eigentlich klar sein sollten?
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Re: Perönlichkeit und Rassenunterschiede

Beitragvon Xafira » 31.10.2014, 06:56

Ja, schlimm, oder Lisa?

Für Dinge, die absolut logisch sind, braucht man heutzutage Studien, Wissenschaftler und noch mehr Studien. :?

Ich mag den Briard als Rasse sehr gern - allerdings wird auch hier verschwiegen, dass sie eine ganz nette Menge an Aggressionspotential in sich tragen (können).
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Re: Perönlichkeit und Rassenunterschiede

Beitragvon Emma » 31.10.2014, 15:56

Hilfe mein Dackel hat nen riesen Ego, mein Schäfer beschützt, mein Border hütet... Ich kann es nicht mehr hören!

Grundlegende Eigenschaften sind oft rassebedingt. Dennoch gibt es natürlich individuelle Charaktereigenschaften.
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Re: Perönlichkeit und Rassenunterschiede

Beitragvon Xafira » 06.11.2014, 14:46

Gsd sind grundlegende Eigenschaften rassebedingt, Maren, sonst wäre ja jede Zucht zwecklos und sinnbefreit.
Leider verstehen das aber sehr viele nicht und leben nach dem Motto: Ein Hund ist ein Hund ist ein Hund ist ein Hund... Ganz so stimmt dies allerdings nicht. :sorry:
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