Wenn Hundefütterung zum Glaubenskrieg wird

Biologisch artgerechte Rohfütterung

Wenn Hundefütterung zum Glaubenskrieg wird

Beitragvon chino » 04.07.2015, 17:19

Warum ich gegen BARF bin …

Kürzlich war ich mal wieder im WorldWideWeb unterwegs und plötzlich kreischte mir eine Aussage förmlich entgegen: “Die einzige richtige und gesunde Ernährung des Hundes ist BARF!!!” In meinem Bauch fing es an zu grummeln und es machte sich ein bekanntes Gefühl breit: WIDERWILLE

Grundsätzlich und einfach von meiner Natur her bin ich gegen jegliche Form von Polemik. Es gibt äußerst selten DIE EINE richtige Sache, Angelegenheit, Vorgehensweise, Sichtweise. Und wenn man einmal genau darüber nachdenkt, fallen einem eine ganze Reihe Gründe ein, wieso diese Aussage eigentlich NICHT stimmen kann!

Was natürlich nicht heißen soll, dass es schlecht ist, seinen Hund zu barfen.

Aber deshalb gleich eine Futterreligion daraus machen??

Der Wolf im Hund
Fangen wir mal ganz blöd simpel an, nämlich mit der Geschichte des Hundes. Wie kam der Hund, bzw. zunächst einmal der Wolf denn überhaupt zum Mensch? So ganz einig ist man sich darüber ja nicht. Der zeitliche Rahmen liegt zwischen 15.000 und 30.000 Jahren. Also vor mindestens 15.000 Jahren wurde der Hund der Begleiter des Menschen.

Auch WIE der Hund zum Mensch kam ist nicht eindeutig geklärt. Eine Theorie besagt, der Wolf schloss sich dem Mensch an, weil er in der Nähe des Menschen ein für ihn gutes und leicht zugängliches Nahrungsangebot fand. Zu dieser Zeit nutzten die Menschen schon lange Hitze und Feuer zur Nahrungszubereitung. Der Wolf schloss sich dieser Theorie nach also dem Mensch an, um u. a. “verarbeitete” Nahrung zu sich zu nehmen …

Naja, gut, der Beweggrund mag durchaus eher in der Faulheit der Wölfe zu finden sein. Sicher ist es einfacher, sich gemütlich und ohne große Anstrengung die verarbeiteten Reste der Menschen reinzuziehen, als eine kraftzerrende und wohlmöglich noch nur wenig erfolgreiche Jagd in Kauf zu nehmen. Das mag der Grund sein. Ich war aber persönlich nicht dabei und die Aussagen diesbezüglich variieren, also lassen wir das mal dahin gestellt …

Frei lebende Hunde …
Wir wissen zwar nicht ganz genau, was vor 15.000 Jahren vor sich ging, aber wie freilebende Hunde sich heutzutage ernähren, das wissen wir. Das wurde u. a. sogar in Studien rund um Hunde festgehalten (z. B. Tuscany Dog Project Günther Bloch). Daraus geht eindeutig hervor, welches Nahrungsangebot Hunde wählen, wenn sie denn die Wahl haben. Und?? Was wählen sie?? Frische gejagte Hasen? Rehe?? Eichhörnchen??? Fangen sie Fische??? Mäuse? Nö. Freilebende Hunde ziehen es vor, das Nahrungsangebot zu nutzen, das Menschen ihnen zur Verfügung stellen. Sie mögen z.B. furchtbar gerne Pizza. Und Nudeln. Sogenannte Hausmannskost. Jagen? Beutetier fressen? Nö. Wer geht schon jagen, wenn er Pizza haben kann?

Hundegeschichte
Wie wir ja eben festgestellt haben, geht die Geschichte des Hundes nun schon mindestens 15.000 Jahre zurück. Aber wie haben Hunde es geschafft, über einen solchen langen Zeitraum zu überleben und nicht auszusterben? Etwa weil sie meist gebarft wurden? Wohl kaum. Eher ist das Gegenteil der Fall. Hunde wurden schon immer von dem ernährt, was der Mensch ihnen zur Verfügung gestellt hat. Und ich kann mir nicht so recht vorstellen, dass eine Familie, sagen wir mal vor 100 Jahren, deren eigener Fleischkonsum sich sehr in Grenzen hielt (denn Fleisch war einmal ein teures und wertvolles Nahrungsmittel), bereit war, dafür Sorge zu tragen, dass ihr Hofhund tagtäglich die besten Happen vom Fleisch bekam. Es gab sogar Zeiten und Orte in der hündischen Geschichte, da wurden Hunde vegan ernährt oder mit Brot als Hauptbestandteil. Und obwohl die Zeiten mit Sicherheit für Hunde nicht immer so rosig waren wie heute, ihr Leben meist wohl bei weitem nicht so komfortabel war, haben sie all das tatsächlich überlebt.

Die Erdbevölkerung
Wir leben hier in Europa und man kann wohl sagen, es geht uns nicht wirklich schlecht. Wir können es uns z. B. leisten, eine wertvolle Ressource – das Fleisch – zu “Dumpingpreisen” raus zuschleudern. Verhungern tut hier kaum jemand. Wir diskutieren rund um die Hundeernährung auf einem ziemlich hohen Niveau. Ich könnte mir eventuell vorstellen, dass ein … na, sagen wir mal ein Afrikaner (in Afrika ist der Prozentteil der Menschen die hungern am größten Weltweit) sich totlacht, wenn nicht gar schluchzend zusammen bricht, angesichts der Diskussionen die wir hier um die Ernährung von einem HUND führen. 795 Millionen Menschen auf der Welt haben nicht genug zu essen. Und wir können es uns leisten, unseren Hunden täglich Kiloweise wertvolles Fleisch in den Rachen zu werfen???? Sollten wir uns nicht schämen?

Der Mensch
Während der Hund vom Wolf abstammt, haben wir Menschen bekanntlich die gleichen Vorfahren wie Affen. Wenn wir also ableiten, dass Hunde artgerecht von simulierten Beutetieren ernährt werden sollten, müsste es dann nicht Affe futtert Bananeauch einen Umkehrschluss auf die artgerechte menschliche Ernährung geben?

Müssten dann nicht eigentlich zumindest alle, die so auf der ARTGERECHTEN Ernährung von Hunden rumreiten sich selber ebenfalls artgerecht ernähren? Affengerecht vielleicht? Wie kommt es dann, dass wir alleine hier in Deutschland einen Fleischverzehr von etwa 60kg pro Jahr/Kopf haben? Was macht der Burger auf dem Teller von Hardcorebarfern? Sollte da nicht eine Banane liegen? Oder allenfalls eine Spinne oder andere Insekten. Wäre da nicht Urkost angesagt? (Anmerkung lt. Wikipedia: bei Schimpansen z. B. lässt sich manchmal auch die Jagd auf Wirbeltiere wie kleine Paarhufer und Primaten beobachten, diese hat jedoch eine starke soziale Komponente – durch das Verfügbarmachen von Fleisch steigt der Rang in der Gruppenhierarchie.)

Umstände und Entwicklung
Es ist eine ganz natürliche Vorgehensweise, dass die Ernährung an das Nahrungsangebot angepasst wird, nicht anders herum. Im Laufe der Geschichte von Mensch und auch Hund hat es da sicherlich einige Anpassungen gegeben. Z. B. der Anbau von Getreide, das gibt es ja nicht schon immer. Vor rund 13.000 Jahren fingen die Menschen an, Ackerbau zu betreiben. Und warum? Weil die Ernährung mit Getreide für Menschen so artgerecht war? Nein. Es ging darum, dass die Ernährung mit Getreide sich als effektiv herausstellte. Effektiv heißt hier, die Kosten-Nutzen-Relation kann sich sehen lassen. Und da Hunde so nahe beim Menschen leben, kann diese Anpassung durchaus auch auf sie übertragen werden. Man kann als weiteres Beispiel für solche Anpassungen auch gut einen Blick auf den Pandabär werfen. Der Pandabär ist ein Fleischfresser, der sich an sein vorhandenes Nahrungsangebot angepasst hat und sich deshalb hauptsächlich von Bambus ernährt.

Die Kartoffel

Als der Wolf zum Hund wurde, gab es bekanntlich noch gar keine Kartoffeln. Hinzu kommt, Kartoffeln sind roh nicht genießbar. Einem Wolf, der nicht kochen kann, hätten sie also auch gar nichts genützt. Kartoffeln bilden eins unserer wertvollsten Nahrungsmittel!! Sie sind sättigend, reich an allen möglichen Nährstoffen und dabei kostengünstig. Aber – sie müssen gekocht werden. Kartoffeln disqualifizieren sich also als Bestandteil der Biologisch Artgerechten RohFütterung. Mir persönlich erscheint es aber geradezu dekadent, sie bei der Hundeernährung außen vor zu lassen. Zudem lässt sich immer wieder feststellen, dass sie äußerst verträglich sind. Nicht umsonst werden Kartoffeln gerne bei der Therapie von Futtermittelallergien eingesetzt.

Summa summarum
Natürlich ist es durchaus erstrebenswert, einen Hund so zu ernähren, dass es seinen körperlichen, artgerechten Bedürfnissen zugutekommt. Aber bitte!! Bleiben wir dabei doch realistisch! Diese Faktoren bilden nur einen Bruchteil aller Faktoren, die bei der Nahrungsentscheidung zum Tragen kommen.

Soll die alte Frau, die ihren Lebensabend leider in Armut verbringt und bei der Fütterung ihres 4-beinigen, geliebten Gefährten auf die Spenden einer Organisation angewiesen ist, das billige Trockenfutter ablehnen, das man ihr dort zur Verfügung stellt? Weil es nicht artgerecht ist? Und dann??? Soll sie ihren Hund ins Tierheim bringen, weil sie ihm kein Fleisch anbieten kann?

Und wenn jemand seinen Hund mit Dosenfutter ernährt, weil das einfach anders nicht in sein Lebenskonzept passt, oder er es sich anders nicht leisten kann … Hat irgendjemand das Recht, diese Person zu verurteilen?

Und auf der anderen Seite – jemand der sich selbst einen Burger nach dem anderen rein pfeift, bei seinem Hund aber den exakten Gemüsenanteil von 124g abwiegt und Diskussionen über den exakten wöchentlichen Anteil an Innereien führt … Wie bescheuert ist das??? So jemand ist für mich schlicht und ergreifend NICHT GLAUBWÜRDIG!

Leben und Leben lassen sollte die Devise sein, nichts anderes! Jeder mag aus seinen gegebenen Umständen das Beste machen. Das Beste des einen ist aber längst nicht das Beste des anderen. Eigentlich ganz einfach!! Und deshalb ist für mich persönlich klar, dass BARFEN sicher nicht das Ende der Fahnenstange bei der Ernährung von Hunden bildet! So simpel.

Anmerkung: Da ich selber meine Hunde hauptsächlich frisch füttere, zu einem sehr großen Teil auch roh, bin ich wohl keine Barfgegnerin. Auch angesichts meiner Tätigkeit als Hundeernährungsberaterin bin ich sicherlich dafür, einen Hund artgerecht, gesund, ausgewogen zu ernähren. Trotzdem sollte jeder diese Entscheidungen für sich selber treffen können und ich wünsche mir einfach nur Toleranz, Respekt und Offenheit.

Quelle
Hundetrainer? Wir brauchen einen EXORZISTEN!
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Re: Wenn Hundefütterung zum Glaubenskrieg wird

Beitragvon gabi » 07.07.2015, 06:35

Oh ja, das spricht mir aus dem Herzen. Seit 1979 lebt ein Hund in meiner Familie, schon ziemlich lange also.
Immer hab ich überwiegend roh gefüttert, damals gab es das Wort "barf" noch gar nicht.............
Wenn das Geld mal knapp war, hat gerade der 1. Hund (ein Chow Chow) oft die REste vom Tisch bekommen, er war topfit, nie krank und wurde 14 Jahre alt ;)
Dann kam der kleine Pudel - 3 Kinder hatte ich da, ich möchte nicht wissen, was die alles in ihn rein gestopft haben. Die letzten Jahre hat er nur noch Frolic gefressen, er hat es gern gefressen und super gut vertragen - er wurde 17 :p

Und nu der Hacki - er bekommt überwiegend rohes Fleisch - er besorgt sich sein Fressen auch gern selbst - dann nimmt er mit Vorliebe Café Latte, Kuchen, Brötchen, Butter, Joghurt - den liebt er über alles, aber auch Brillen, Kugelschreiber, Schuhe, zeitungen, Kerzen - ganz wie sein Vorgänger, der Wolf :xlol:

Wobei ich ehrlich sagen muss - Hacki in freier Wildbahn, der würde wohl alles jagen und fressen, was er bekommen kann, der geht im Garten auf die Pirsch nach ollen dicken Tauben und stellt sich gar nicht so doof an, also dann doch wieder die Wolf-Instinkte????

Wichtig ist selbstverständlich, dass man nicht sein eigenes Modell als das Non Plus Ultra ansieht, jeder nach seiner Fasson- nicht nur beim Hundefutter, sondern grundsätzlich :wave:
Liebe Grüße aus Berlin
Gabi
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Re: Wenn Hundefütterung zum Glaubenskrieg wird

Beitragvon THT » 10.07.2015, 00:09

Ich bin der Meinung jeder sollte seinen Hund so ernähren wie er es vertreten kann. Ich bin zum BARF gekommen weil Luna so viele Unverträglichkeiten hat. Seit BARF hatte sie keine Allergieschübe mehr.
Liebe Grüße
Manu mit den Langnäschen Luna und Stjerne
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Re: Wenn Hundefütterung zum Glaubenskrieg wird

Beitragvon Wolfskralle » 20.07.2015, 19:43

Hach ja, wie mir dieser Text doch aus dem Herzen spricht!

Mittlerweile füttere ich auch Barf, da Dijego mit Trockenfutter immer Probleme hatte (Allergien, Bildung von Schuppenflechten, energielos...) und es im Nachhinein sogar selbst verweigert hat. Die Barfer wollen mich schon steinigen, weil es manchmal eine Woche lang nur Fleisch ohne Gemüse, Obst und Öle gibt - mir egal, dem Hund geht's gut!

Mein kleiner Timmy hat damals das Futter vom Aldi bekommen - das einzige von vielen, von dem er eine gute Verdauung hatte! Zwischendurch hat er Reste vom Schokopudding bekommen, alles mögliche vom Tisch und auch mal Lakritz. Dem Hund ging's gut!

Und das ist doch das Wichtige im Endeffekt: dass es dem Hund gut bekommt!
"Ignoranz hab ich von meinem Hund gelernt".
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