Gedanken zur zeitgemäßen Hundezucht
Dr. Helga Eichelberg, Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats des VDH.
... Wie aber sollte künftig mit der Vielzahl von Erkrankungen umgegangen werden, deren Anzahl voraussagbar noch zunehmen wird? Die Lösung kann nicht darin bestehen, zukünftig großzügiger oder gar nachlässiger mit auftretenden Defekten zu verfahren. Ganz im Gegenteil, Zuchtstrategien und Selektionsmaßnahmen bleiben nach wie vor wichtigste Bestandteile der Hundezucht. Sie müssen nur künftig gezielter eingesetzt werden. Es sollte nichts der Tradition oder dem Zufall überlassen werden, alle Maßnahmen sollten kritisch hinterfragt und vor allem auch auf ihre Wirksamkeit überprüft werden. So darf es z.B. künftig nicht mehr möglich sein, dass irgendjemand meint, in einer Rasse einen Defekt entdeckt zu haben und dann geradezu erpresserisch auf einer Selektion besteht. Zukünftig sollte sich kein Verein kopflos und aktionistisch auf fragwürdige Züchtungsabenteuer einlassen. Man kann eine Rasse nämlich auch zu Tode selektieren!
Man kann auch noch etwas anderes Sinnloses tun, nämlich Ansprüche an die Zucht stellen, die nicht erfüllbar sind. Hierzu gehört z.B. der Wunsch, den „genetisch gesunden Hund“ züchten zu wollen. Das ist eine Illusion und es ist auch gar nicht notwendig, denn phänotypisch gesunde Hunde zu züchten, Hunde also, die nicht hinken, die sehen und hören können und sich des Lebens freuen, ist ein großes Ziel, und das ist anzustreben. Natürlich hätten wir alle am liebsten genetisch gesunde Hunde. Aber Friede auf Erden hätten wir auch gern, nur überfordern wir mit solchen Zielen offensichtlich die realistischen Möglichkeiten. Ich halte es für völlig unsinnig, sich Ziele zu stecken, von denen man schon während der Formulierung weiß, dass sie nicht zu erfüllen sind. Lassen Sie uns also keinen Hirngespinsten nacheifern, sondern solide bleiben und das heißt: phänotypisch gesunde Hunde züchten...
Interessanter Ansatz ...
Das im Artikel angesprochende Phasenmodell des VDH ist in drei Bereiche gegliedert: Datenerhebung, Datenauswertung, Maßnahmen/Konsequenzen
Tritt in einer Rasse ein Defekt auf, so sind in einer ersten Phase die notwendigen Daten zu erheben, wie z. B. die Verbreitung des Defektes, seine geschlechtsbezogene Verteilung und die Altersverteilung. In einer zweiten Phase sind mit wissenschaftlicher Begleitung die Daten auszuwerten und gegebenenfalls ein Zuchtprogramm zu etablieren. In einer dritten Phase, die sich nach einem angemessenen Zeitraum anschließt, ist dann, ebenfalls wissenschaftlich begleitet, die Wirkung der Zuchtmaßnahme zu bewerten und aus dieser Bewertung zielgerichtete Konsequenzen zu ziehen
Quelle
Wichtig finde ich den kurz darunter folgendenen Hinweis auf die durchaus begrenzen Möglichkeiten des VDH und die Gründe dafür:
... Grenzen sind vor allem dadurch gesetzt, dass seine Möglichkeiten, auf die Hundezucht in Deutschland einzuwirken, bei weitem nicht so groß sind, wie es häufig vermutet wird. Dies kann mit folgenden Zahlen verdeutlicht werden:
In Deutschland leben etwa 5 Millionen Hunde. Davon entfallen 69% auf Rassehunde und 31% sind Mischlinge. Von dem Anteil der Rassenhunde werden nur 29% im VDH gezüchtet, weitere 23% werden importiert und 48% stammen aus unkontrollierter Zucht. Das bedeutet, dass für mehr als 2/3 der Rassehunde in Deutschland sämtliche Zucht- und Gesundheitsmaßnahmen wirkungslos bleiben. Hinzu kommen noch ca. 1,5 Millionen Mischlinge, die bezüglich der Tierschutzrelevanz keineswegs besser gestellt sind als Rassehunde.
Dieser missliche Zustand wird langfristig gesehen noch dadurch verstärkt, dass die Anzahl der im VDH gezüchteten Hunde abnimmt, weil vielen Züchtern die Auflagen für die Zucht zu rigide sind und weil importierte Hunde erheblich billiger sind. Letztere Tatsache hat darüber hinaus noch den bedenklichen Nebeneffekt, dass der Hund immer mehr zur Wegwerfware verkommt.
Diese absehbare Entwicklung ist nur zu beheben oder zumindest einzudämmen, wenn der Staat sich endlich zur Schaffung eines Heimtierzuchtgesetzes entschließt. Ein solches Gesetz fordert der VDH seit Jahrzehnten ein, bisher trotz intensivsten Druckes ohne jeden Erfolg. Es sollte auch an der Zeit sein, dass sich der Berufsstand der Tierärzte mit seinen Möglichkeiten für die Etablierung eines Heimtierzuchtgesetzes einsetzt.
Ein weiterer Punkt sollte im Zusammenhang mit dem Tierschutz in der Hundezucht angesprochen werden. Es ist unbestritten, dass der Tiermedizin heute diagnostische und therapeutische Möglichkeiten zur Verfügung stehen, die für das Leben der Hunde von unschätzbarem Wert sind. Andererseits ist der Schaden, der der Hundezucht durch unlautere tierärztliche Manipulationen zugeführt wird, nicht unerheblich. Nicht wenige Hunde, deren vorhandene Defekte durch tierärztliches Eingreifen unerkannt bleiben, werden in der Zucht eingesetzt. Derartige Manipulationen, die nichts mit einer medizinischen Indikation zutun haben, unterlaufen jede noch so gut kontrollierte Zucht. Auch in diesem Bereich wäre es
dringend an der Zeit, ein neues Bewusstsein zu Gunsten einer tierschutzorientierten Hundezucht zu erzeugen.
LG
Andrea