Mythos Treppe

Tipps und Anregungen zu Gesundheitsfragen können und sollen keinen Tierarztbesuch ersetzen!

Mythos Treppe

Beitragvon chino » 15.11.2014, 09:32

Mythos Treppe
Prof. Dr. Martin S. Fischer

Vor kurzem wurde ich gefragt, wie lange ich meine Kinder eigentlich die Treppe noch rauf und runter tragen werde. Ich antwortete, dass ich dies bis zur Verknöcherung der Wachstumsfugen also bei Mädchen und Jungen etwas unterschiedlich bis zum 16.-19. Lebensjahr tun würde, dann sei ja schließlich das Skelett erst ausgreift. Vor allen Dingen das späte Ausreifen des Oberschenkels erlaube hier keine Kompromisse!

Selbstverständlich habe ich auch alle meine Welpen das erste Jahr die Treppe rauf und runter getragen. Zugegebenermaßen habe ich seit Jahren starke Rückenschmerzen, aber was tut der Mensch nicht alles für seine Lieben. Beim Hund habe ich in etwa 1083 blogs zudem gelesen, dass seine Muskeln erst spät ausreifen, zwar kann ich mir unter „Muskelreifung“ nichts vorstellen, aber sicher diejenigen, die es im Internet geschrieben haben.

Richards und Koautoren haben 2010 einen interessanten Aufsatz veröffentlicht, der einmal mehr zeigt, wie gefährlich es ist, von sich (Mensch) auf andere (hier Hund) zu schließen. Während beim Menschen der Hauptbewegungsumfang beim Treppensteigen im Knie- und Hüftgelenk auftritt, löst der Hund dieses Problem durch eine erhöhte Bewegung (vor allem Dorsalflexion) im Sprunggelenk. Futsch alle Überlegungen zur Schonung des Hüftgelenkes von Hunden beim Treppentragen. Aber Hand auf’s Herz, kennen Sie viele Hunde, bei denen durch ihre treppensteigende Jugend später Beschwerden im Sprunggelenk auftreten oder musste dies nicht erklärt werden.

Eine Bemerkung zum Wachstum: der Zeitpunkt des Wachstumsendes ist selbst bei Wurfgeschwistern sehr unterschiedlich. Schon vor 50 Jahren hat Weise gezeigt, dass nach 166 Tagen das erste Wurfgeschwister ausgewachsen war, aber erst nach 220 Tagen das letzte. Allerdings war der Hund, der die längste Wachstumsphase aufwies, nicht das größte Tier, dieses war bereits mit 177 Tagen ausgewachsen. Die Dauer des Wachstums ist also nicht der entscheidende Faktor für die Größe eines Hundes.

Eine Bemerkung zur Muskelreifung: Bei neugeborenen Welpen sind 90-95 Prozent der Muskelfasern noch undifferenziert. Die wenigen, schon differenzierten Fasern sind sehr große rote Fasern, die nach vier bis fünf Wochen wieder verschwinden. Bis zur vierten Woche ist eine allmähliche Differenzierung der Fasern erkennbar, und es treten die üblichen roten und weißen Fasern auf. Bis zur zwölften Woche ist dann das Verteilungsmuster des erwachsenen Hundes vorhanden. Die Entwicklungszeit der Muskelfasern ist in den verschiedenen Muskeln nahezu gleich. Es stimmt nicht, dass Welpen viele weiße Fasern und adulte Hunde viele rote Fasern besitzen und dass die Muskelreifung bis zu einem Jahr dauert.

Eine Bemerkung zur Stoßbelastung: Beim Galopp, beim Kurvenrennen, beim Springen und in einer Vielzahl von anderen Belastungssituationen treten Kräfte auf, die ein mehrfaches des Körpergewichtes betragen können. Prieur (1980) hat bei einer mäßigen Geschwindigkeit von 7 km/h bei einem 30 kg schweren Hund bereits eine Belastung des Hüftgelenkes gemessen, die das Sechsfache des Körpergewichtes betrug. Gleichzeitig wird beim Vierfachen des Körpergewichtes nur 55 Prozent der Gelenkfläche am Oberschenkelkopf ausgenutzt (Lieser 2003). Der Körper des Hundes und seine Gelenke sind darauf eingerichtet, auch ungewöhnliche Kraftspitzen abzufangen.

Wenn ich hier die Meinungen zum Treppensteigen von jungen Hunden hinterfrage, dann ist selbstverständlich klar, dass es für den Hund nicht anderweitig gefährdende Situation geben kann. Eine glatte, offene Treppe, auf der ein Hund – auch wenn er schon älter ist – stürzen kann ist wie jede traumatische Situation zu vermeiden.

In unserem Buch „Hunde in Bewegung“ haben wir im Vorwort geschrieben: „Wenn das Wissen unzureichend ist, bilden sich Meinungen.“ Leider gibt es keine einzige Studie, welche den Einfluß des Treppensteigens bzw. Treppentragens auf die spätere Entwicklung des Bewegungsapparates des Hundes untersucht hat, wir können also den vielen Meinungen kein gesichertes Wissen entgegenhalten, aber umgekehrt, beruhen auch die Meinungen nicht auf irgendeinem haltbaren Befund. Es kann also jeder selber entscheiden, wie er es mit dem Treppentragen seines Hundes hält, aber andere belehren darf er nicht – und es gibt auch die „fürsorgliche Belagerung“ (Heinrich Böll). Mit anderen Worten, Fürsorge ist in Ordnung, man kann sie aber auch trefflich übertreiben!


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Re: Mythos Treppe

Beitragvon MickyMausi » 07.12.2014, 08:58

Ich hab ja immer schon ausgewachsene Hunde, deswegen musste ich mir die Frage nie stellen.

Andererseits scheitert bei vielen Hunderassen das einjährige hochtragen sicherlich allein schon am Gewicht, eine Deutsche Dogge zum Beispiel lässt sich sicher sehr früh kaum noch heben.

Das Treppen durchaus auf die Hüfte gehen kann ich mir allerdings gut vorstellen, jetzt im Alter hat Micky ab und an schon Probleme eine Treppe hochzugehen. Runter ist nie ein Problem, könnte allerdings auch sein, dass die Freude auf frische Luft größer ist als der Schmerz
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Re: Mythos Treppe

Beitragvon Xafira » 14.12.2014, 08:02

Ich halte es eigentlich so, dass ich den Welpen mal trage und ihn mal selbst laufen lasse. Getragen wird vorzugsweise beim Rausgehen und wenn man da Treppen nach unten müsste - aber nur aus dem Grund, weil ich so ungern putze. :d

Ansonsten lasse ich den Welpen die Treppe gern in seinem Tempo gehen - also ohne Leine - da kann am Wenigsten schiefgehen, denke ich mir.
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Re: Mythos Treppe

Beitragvon Shnarph » 14.12.2014, 11:46

Keks ist bei mir an der Treppe immer angeleint, hochwärts durfte sie 1-2 Mal am Tag selber laufen, sonst hatte ich sie getragen. Runterwärts ging es einmal am Tag selber und sonst hab ich sie auch da getragen, bis sie mir zu schwer wurde und mir auch zu gefährlich, da die Treppe glatt ist. Aber da sie angeleint war und ist, geht sie die Treppen schön ruhig rauf und runter.
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